Am Mittwochmorgen sind israelische Streitkräfte nach eigenen Angaben in einen Teil des Al-Schifa-Krankenhauses im Gazastreifen eingedrungen. Auf der Grundlage nachrichtendienstlicher Informationen führten Soldaten "eine präzise und gezielte Operation gegen die Hamas in einem bestimmten Bereich des Schifa-Krankenhauses durch", hieß es in einer Mitteilung auf Telegram. "Wir fordern alle im Krankenhaus anwesenden Hamas-Terroristen auf, sich zu ergeben."
Bereits zuvor sagte Salim Oweis, Sprecher von Unicef im Mittleren Osten: "Die Situation in den Krankenhäusern von Gaza ist eine einzige humanitäre Katastrophe." In Gaza lägen über 130 Babys auf Neugeborenenstationen, viele von ihnen an Beatmungsgeräten, berichtet er. "Unsere Befürchtung ist, dass diese Babys wegen Stromausfällen und Sauerstoffmangels sterben." Dieser Zustand sei grausam und müsse sofort ein Ende haben.
Israels Militärsprecher Daniel Hagari hatte am Dienstagabend bereits angekündigt, dass die Streitkräfte auch gegen mutmaßliche Infrastruktur der islamistischen Hamas in Krankenhäusern im Gazastreifen vorgehen werden. "Die fortgesetzte militärische Nutzung des Al-Schifa-Krankenhauses durch die Hamas führt dazu, dass es seinen besonderen völkerrechtlichen Schutz verliert", sagte Hagari am Dienstagabend. "Wir sind gezwungen, vorsichtig und präzise gegen die militärische Infrastruktur der Hamas in den Krankenhäusern vorzugehen."
Seit der Klinik am Wochenende der Treibstoff für die Stromgeneratoren ausgegangen ist, kämpfen Ärzte und Pfleger um das Überleben ihrer Patienten. Patienten erhalten keine Dialyse mehr, Sauerstoffgeräte funktionieren nicht und Operationssäle sind außer Betrieb. "Wer operiert werden muss, stirbt. Wir können nichts für sie tun", sagte der Klinikdirektor dem Sender Al Araby. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beklagt "entsetzliche Zustände" in der Schifa-Klinik, dem größten Krankenhaus im Gazastreifen. Mehr als 2000 Menschen befänden sich dort, darunter wohl mehr als 600 Patienten und rund 1500 Vertriebene, so die WHO unter Berufung auf das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium. Mehr als die Hälfte der Kliniken im Gazastreifen hat den Betrieb eingestellt.
Die humanitäre Situation verschlechtere sich immer weiter, warnt Christof Johnen, Leiter der Internationalen Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz. "Die Versorgung von Patienten ist allerdings kaum mehr möglich, weil es inzwischen von Strom über Medikamente, Verbandstoffe, Desinfektionsmitteln an allem fehlt", sagt Johnen. "Das Personal ist vollkommen erschöpft." Besonders betroffen seien Angestellte, die normalerweise auf Intensiv- und Neugeborenenstationen Patienten versorgen.
Die israelische Armee wirft der Hamas vor, eine Kommandozentrale und Tunnel unter der Klinik angelegt zu haben und auch weitere medizinische Einrichtungen im Gazastreifen für militärische Zwecke zu missbrauchen. Die Hamas bestreitet dies. Israels Armee erklärt, sie habe die Kliniken nicht gezielt im Visier, es gebe aber Kämpfe in unmittelbarer Nähe.
Nach Angaben von Unicef habe es mehr als 130 Angriffe auf medizinische Einrichtungen im Gazastreifen gegeben. "Diese Angriffe sind ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht und das internationale Recht", sagt Oweis. "Die Kinder, Familien und die Zivilbevölkerung brauchen eine humanitäre Feuerpause und Zugang zu grundlegender Hilfe, darunter Trinkwasser, medizinische Versorgung und Treibstoff."
Beim Treffen der EU-Außenminister am Montag in Brüssel stand auch die humanitäre Lage im Gazastreifen auf der Tagesordnung. Auch wenn die Hamas Krankenhäuser als Schutzschilde missbrauche, müsse Israel auf die Sorgen der Hilfsorganisationen und der Weltgesundheitsorganisation hören, mahnte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. "Hier sind Babys, die ersticken, weil kein Sauerstoff mehr da ist. Es sind Menschen, die auf der Intensivstation liegen und keine Chance haben", so Asselborn. "Krankenhäuser dürften kein Schlachtfeld sein", machte er deutlich.
Für den Treibstoffmangel in den Krankenhäusern gibt es verschiedene Erklärungen. Das israelische Außenministerium hatte erklärt, israelische Soldaten hätten am Wochenende Behälter mit 300 Litern Treibstoff neben dem Eingang des Krankenhauses abgestellt. Die im Gazastreifen herrschende Hamas habe die Klinik jedoch daran gehindert, den Treibstoff entgegenzunehmen.
Klinikchef Abu Salamia wies dies als "Lüge und Verleumdung" zurück. Zwar dementierte er die Berichte über die abgestellten Kanister nicht, sagte aber, die Menge reiche "nicht einmal für eine Viertelstunde", um die Generatoren des Krankenhauses zu betreiben. Außerdem befürchte das Krankenhausteam, beschossen zu werden, wenn es die Klinik verlasse, um die Behälter zu holen. Nach Angaben des Hamas-Gesundheitsministeriums benötigt die Klinik täglich 8.000 bis 10.000 Liter Treibstoff.
Israels Ministerpräsident Netanjahu hatte dem Krankenhaus mehrfach angeboten, mehr Treibstoff zu liefern. Die Hamas habe dies jedoch abgelehnt, sagte er dem US-Sender NBC. Zudem sehe er keinen Grund, warum die Patienten nicht evakuiert werden könnten. Zuvor hatte der israelische Armeesprecher Jonathan Conricus die Hamas beschuldigt, den Krankenhäusern den Treibstoff zu verweigern. Die Hamas habe mehr als eine Million Liter Treibstoff gelagert, gebe diesen aber nicht an die Krankenhäuser ab. Die Hamas verwende den Treibstoff, um "ihre Terrortunnel zu beleuchten, Raketen abzufeuern und für ihre eigenen Häuser", anstatt ihn der Zivilbevölkerung zur Verfügung zu stellen. DRK und Unicef rufen dazu auf, Zivilisten und medizinische Einrichtungen zu schützen und die Versorgung mit humanitären und medizinischen Gütern zu gewährleistet. Doch ein Ende der dramatischen Situation in den Kliniken ist nicht in Sicht.