In der Ukraine steht eine umfassende Regierungsumbildung an. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat tiefgreifende personelle Veränderungen in seinem Kabinett angekündigt, die mehr als die Hälfte aller Ministerien betreffen werden. Zu den prominenten Rücktritten gehört Außenminister Dmytro Kuleba, einer der bekanntesten Vertreter der Ukraine auf der internationalen Bühne. Kuleba hat seinen Rücktritt schriftlich eingereicht, und sein Gesuch soll auf einer der nächsten Sitzungen der Obersten Rada behandelt werden, wie Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk auf seiner Facebook-Seite mitteilte.
Die Regierungsumbildung, die am Dienstagabend begann, umfasst neben Kuleba auch andere führende Politikerinnen und Politiker. Unter den ersten Rücktritten waren:
- Oleksandr Kamyschin, der als ehemaliger Chef der ukrainischen Bahn international bekannt wurde und zuletzt als Minister für Strategische Industrien die Rüstungsproduktion vorantreiben sollte. Kamyschin sollte sicherstellen, dass die Front genügend Munition hat, was nun von einem Nachfolger fortgeführt werden muss.
- Denys Maljuska, Justizminister seit 2019 und bekannt für seine Forderung nach einem Entschädigungsmechanismus, bei dem eingefrorene russische Gelder in die Ukraine fließen sollten. Maljuska, ein Jurist mit Ausbildung in London, wird durch einen neuen Amtsinhaber ersetzt.
- Ruslan Strilez, seit April 2022 Umweltminister, hatte sich mit den Folgen der Zerstörung der Kachowka-Staumauer beschäftigt. Seine Abberufung ist Teil der umfassenden Erneuerung der politischen Führung in Kiew.
- Witalij Kowal, Chef des Fonds für Staatseigentum, der staatliche Unternehmen für die Privatisierung vorbereitete. Kowal bezeichnete diese Firmen oft als "Brutstätte für Korruption" und wird nun ebenfalls ersetzt.
Präsident Selenskyj hatte bereits im Juli einen Umbau der Regierung angekündigt, um die politische Führung angesichts der andauernden Kriegslast effizienter zu machen. Die Umbildung findet zu einem kritischen Zeitpunkt statt, da der Krieg gegen Russland in eine entscheidende Phase tritt und die 1.000-Tage-Marke bald erreicht wird. Selenskyj betonte, dass die Ukraine "neue Energie" brauche, auch in der Diplomatie. In einer Pressekonferenz in Kiew erklärte er, die Umbildung sei notwendig, um den Krieg und die Reformen gleichzeitig zu bewältigen.
Fraktionschef David Arachamija, der Vorsitzende der Präsidentenpartei "Diener des Volkes", kündigte an, dass es weitere Entlassungen und anschließend Neuernennungen geben werde. Der "Tag der Entlassungen" soll direkt von einem "Tag der Ernennungen" gefolgt werden. Die endgültige Liste der neuen Kabinettsmitglieder soll auf einer Fraktionssitzung bekannt gegeben werden.
Während der politischen Neuausrichtung wurde die Ukraine erneut von schweren russischen Angriffen erschüttert. In Poltawa, einer zentralukrainischen Stadt, schlugen zwei ballistische Raketen in das Gelände einer Hochschule und eines Krankenhauses ein. Laut Präsident Selenskyj wurden dabei mindestens 50 Menschen getötet und über 180 verletzt. Der Angriff gilt als einer der verheerendsten seit Beginn des Krieges.
Selenskyj erneuerte seine Forderung nach schneller Lieferung westlicher Raketenabwehrsysteme, um die Zivilbevölkerung besser schützen zu können. Er betonte, dass die Ukraine reichweitenstarke Raketen brauche, um Angriffe auf russische Militärziele tief im Hinterland durchzuführen.
Selenskyj steht vor der Herausforderung, die Moral der ukrainischen Bevölkerung aufrechtzuerhalten und die Unterstützung der westlichen Partner zu sichern. Die bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen könnten die Militärhilfe für die Ukraine beeinflussen, weshalb Selenskyj weiterhin auf die ungebrochene Unterstützung der Verbündeten drängt. Inmitten dieser Unsicherheiten setzt Selenskyj auf eine effiziente und widerstandsfähige Regierung, um den Herausforderungen des Krieges gerecht zu werden.
Die Regierungsumbildung zeigt die Bereitschaft der Ukraine, ihre Führung neu aufzustellen und sich auf die kommende, kritische Phase des Krieges vorzubereiten. Die nächsten Wochen und Monate werden entscheidend sein, nicht nur für die militärischen Erfolge, sondern auch für die politische Stabilität und die Fortsetzung der westlichen Unterstützung.
Quellen: BBC, Reuters, The Guardian, Al Jazeera, Die Zeit, Der Spiegel, New York Times