Die Brandrede kommt nicht von ungefähr. Das Chaos im Repräsentantenhaus nach dem Sturz des Sprechers Kevin McCarthy bereite ihm Sorgen, gestand Biden. Da ist er nicht alleine. Auch ausländische Beobachter sind alarmiert. Vor drei Wochen noch hatten sich Bundestagsabgeordnete beim Washington-Besuch der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock überzeugt gezeigt, dass die amerikanische Ukraine-Hilfe trotz massiver Querschüsse von ultrarechten Republikanern nicht zur Disposition stehe. Nun räumen europäische Diplomaten hinter vorgehaltener Hand ein, dass sie an der Fortsetzung der US-Unterstützung zweifeln.
Für die Skepsis gibt es praktische und politische Gründe: Der Übergangshaushalt, der in der vergangenen Woche beschlossen wurde, enthält keine neuen Ukraine-Gelder. Mitte November läuft er aus. Angesichts der innerparteilichen Turbulenzen bei den Republikanern muss man befürchten, dass eine Anschlusslösung nicht rechtzeitig beschlossen werden kann. Dann gibt es eine Haushaltssperre. Doch auch bei einer Einigung ist angesichts des massiven Widerstands der republikanischen Hardliner fraglich, ob diese neue Mittel für die Ukraine enthalten würde. Eine aktuelle Umfrage von Reuters/Ipsos, der zufolge die nur noch 41 Prozent der Amerikaner die Unterstützung gutheißen und 35 Prozent ablehnen, stärkt den Befürwortern im Parlament nicht den Rücken. Im Mai hatte das Verhältnis noch 46:29 betragen.
Einer der beiden Kandidaten für die McCarthy-Nachfolge, der Trump-Verbündete Jim Jordan, erklärte am Mittwoch, dass er ein Gesetz für weitere Ukraine-Mittel im Repräsentantenhaus nicht einbringen würde. "Das vordringliche Thema für Amerika ist nicht die Ukraine. Es ist die Situation an unserer Grenze und die Kriminalität in den Straßen", sagte Jordan, der wortgewaltig die Amtsenthebung von Präsident Biden vorantreibt.
Als in der vergangenen Woche über ein 300-Millionen-Dollar-Paket für Waffen und Ausbildung von ukrainischen Soldaten abgestimmt wurde, votierte Jordan wie rund die Hälfte der republikanischen Fraktion mit "Nein". Die rechtsextreme Abgeordnete Marjorie Taylor Greene hat den Slogan "Kein Penny für die Ukraine" zum Schlachtruf gemacht.
Im demokratisch beherrschten Senat ist die Unterstützung noch größer. Von hier müsste wohl die parlamentarische Initiative ausgehen. Dazu sollen neue Ukraine-Hilfen offenbar mit Geldern für die Sicherung der Grenze zu Mexiko gegen illegale Einwanderung in ein Paket gepackt werden. Doch ist fraglich, ob ein frischgewählter Sprecher des Repräsentantenhauses dieses heikle Koppelgeschäft akzeptieren würde, da ihm sofort der Sturz durch die rechten Fundi-Extremisten drohen würde.
Bislang haben die USA rund 44 Milliarden Dollar Militärhilfen für die Ukraine bereitgestellt. Das ist mehr als doppelt so viel wie Deutschland und ungefähr so viel wie alle europäischen Staaten zusammen. Ein Ausfall der Unterstützung aus Washington hätte daher gravierende Konsequenzen. Biden hat 24 Milliarden Dollar neue Ukraine-Mittel beantragt. Davon sind 17 Milliarden Dollar für Verteidigung vorgesehen.
Derzeit kann sich das Pentagon noch aus genehmigten, aber nicht abgeflossenen Mitteln bedienen. Nach Angaben von John Kirby, dem Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats, reicht das Geld "für die kommenden Wochen". Der genaue Zeitraum hänge von der Art und Menge der benötigten Waffen ab. Biden versicherte, Kiew könne mit der nächsten Tranche rechnen. Es gebe auch "einen anderen Weg, wie wir möglicherweise Mittel dafür finden", versicherte der Präsident vage.
Doch auch denkbare Buchungstricks können auf Dauer keinen Parlamentsbeschluss ersetzen. "Irgendwann kommen wir zu einem harten Ende", erklärte Kirby. Eindringlich warnt der konservative demokratische Senator von West Virginia, Joe Manchin, schon davor, dass die USA ein von Russland überfallenes Land im Stich lassen könnten: "Dann gnade uns Gott!".