Tatsächlich bestimmte Massa die Debatte ausgerechnet gegen jenen Milei, dessen Aufstieg zum politischen Popstar als provozierender TC-Experte begann. Doch Milei war offenbar nur auf Angriff eingestellt, nicht aber eine Rolle in der Verteidigung gegen auf ihn von Massa einprasselnden Fragen. Irritiert griff er sich bisweilen an die auffällige Haarpracht, die ihm den Spitznamen "Perücke" einbrachte. Dann aber kamen die ersten Zweifel auf, niedergeschrieben von der Zeitung "Clarin": "Hat Massa mit seiner aggressiven, einschüchternden Art auch die unentschlossenen Wähler erreicht oder hat er sie nicht sogar verschreckt?" Sie hätten sich von Massa angesichts von einer Jahresinflation von 143 Prozent und einer Armutsrate 40 Prozent mehr Demut, vor allem aber konkrete Vorschläge erhofft. Stattdessen feuerte Massa Breitseiten ab.
Der überraschende Verlauf des TV-Duells zeigte: Im argentinischen Wahlkampf ändern sich die Vorzeichen fast jeden Tag. Genau wie die ohnehin unzuverlässigen Umfragen. Mal liegt Massa vorne, dann wieder Milei. Sicher aber ist: Die Wahl ist zwischen Milei und Massa ist eine klare Richtungswahl. Massa steht für ein "Weiter so", für eine Regierung, die auf staatliche Kontrolle und Regulierung setzt, ihren Rückhalt in den Gewerkschaften, den Behörden, Ministerien, den NGOs, der Zivilgesellschaft hat. Und sogar vom Papst, der sich dazu hinreißen ließ – ohne Milei beim Namen zu nennen –, in einem TV-Interview mit der regierungsnahen Agentur Telam vor "messianischen Clowns" und einem Rattenfänger von Hameln warnen, der schnelle Lösungen verspricht und dann die Menschen ertrinken lässt.
Der Argentinier Franziskus – von Milei als Anhänger des Sozialismus gebrandmarkt – steht wie ein Drittel des Wahlvolkes fest zum Peronismus – benannt nach dem Präsidentenpaar Juan und Evita Peron. Milei steht für einen klaren Bruch, für eine Deregulierung der Märkte, für mehr Kapitalismus, für eine Dollarisierung, ein radikales Herunterbrechen des Staates, für bisweilen bizarre Ideen wie die Privatisierung des Organhandels oder der Meere. Kurzum: für eine Zeitenwende.
"Wenn wir einen wirklichen Wandel wollen, dann liegt hier die Chance. Milei steht für eine Abkehr vom ‚Immer weiter so‘", sagt Polizist Helios (40) am Rande einer Wahlkampfveranstaltung im Gespräch mit dieser Zeitung. "Das Land braucht eine neue Generation von Politikern und Milei hat den notwendigen Mut." Peronistin Rebeca (29) befürchtet, dass "wir die individuellen und kollektiven Rechte verlieren. Ich habe das Gefühl, dass Hass und Aggression in der Gesellschaft entstehen und dass wir weder ein produktives noch ein besseres Land aufbauen."
Das Massa-Lager fuhr eine Angstkampagne, stellte Milei als ultrarechten Hardliner dar, mit dem sogar eine Rückkehr zu Diktaturzeiten droht. Das Milei-Lager setzte auf die Wut, die die Stimmung der von der schweren Wirtschaftskrise gebeutelten Bevölkerung einsammeln sollte und prophezeite das Untergangsszenario einer untergehenden argentinischen Wirtschaft.
"Lasst euch nicht von der Angst mitreißen, denn sie lähmt. An diesem Sonntag müssen wir uns entscheiden, ob wir (peronistischen) Populismus oder die Republik wollen", rief Milei seine Anhängerinnen und Anhänger auf. Massa wiederum sieht in der Wahl eine Entscheidung zwischen Demokratie und dem Abbruch internationaler Beziehungen wie den zu Brasilien, die Milei wegen des "kommunistischen Präsidenten Lula" infrage stellt: "Lassen Sie uns weiterhin für die Demokratie und die Beziehungen zwischen unseren Ländern eintreten."