Sie habe den Leichnam in Salechard, der nächstgelegenen Stadt zum abgelegenen Gefängnis, sehen können, schilderte Nawalnaja in dem Video: "Gestern Abend haben sie mich heimlich zur Leichenhalle gebracht, wo sie mir Alexej gezeigt haben." Zuvor war ihr mehrere Tage lang der Zugang zu ihrem Sohn verweigert worden.
Nawalnaja warf den russischen Behörden zudem vor, sie hätten sie gedrängt, einer geheimen Bestattung ihres Sohnes zuzustimmen. "Sie erpressen mich, sie stellen mir Bedingungen, wo, wann und wie Alexej beerdigt werden soll", sagte die Mutter. "Das ist illegal."
Nawalanja führte mit Blick auf die Behörden aus: "Sie wollen, dass alles im Geheimen geschieht, ohne Zeremonie, sie wollen mich an den Rand eines Friedhofs bringen, in die Nähe eines frischen Grabes und mir sagen: 'Hier ruht Dein Sohn'."
Sie wolle, "dass diejenigen von Ihnen, denen Alexej am Herzen liegt, alle, für die sein Tod zu einer persönlichen Tragödie wurde, die Möglichkeit haben, sich von ihm zu verabschieden", sagte Nawalnaja. Sie habe das Video aufgenommen, weil die Ermittler sie "bedroht" hätten.
"Sie sahen mir in die Augen und sagten, dass sie etwas mit der Leiche meines Sohns machen würden, wenn ich nicht einer geheimen Bestattung nicht zustimme", fuhr Nawalnaja fort. Sie wolle, "dass mir die Leiche meines Sohnes sofort übergeben wird." Die Ermittler hätten ihr mitgeteilt, dass sie die Todesursache kennen, aber nicht sagen würden, worum es sich handelt.
Nawalnys Sprecherin Kira Jarmisch sagte, ein Nawalnaja gezeigter medizinischer Bericht besage, dass die Todesursache "natürlich" sei.
Der Tod des seit Jahren in Russland inhaftierten Nawalny war am Freitag vergangener Woche bekannt geworden. Er starb in einem Straflager am Polarkreis im Alter von 47 Jahren. Nawalnys plötzlicher Tod löste international Bestürzung aus. Zahlreiche westliche Politiker sowie Nawalnys Witwe machten die russische Führung und Präsident Putin für seinen Tod verantwortlich. Moskau wies die Anschuldigungen zurück.
Unterdessen riefen russische Oppositionelle nach dem Tod Nawalnys zur Entschlossenheit auf. Der zu 25 Jahren Gefängnis verurteilte Wladimir Kara-Mursa sprach seinen Landsleuten Mut zu. "Alexej sagte: Gebt nicht auf. Es ist unmöglich, aufzugeben", erklärte Kara-Mursa aus der Isolationshaft in einer Strafkolonie in Sibirien. "Wenn wir uns der Düsternis und Verzweiflung hingeben, ist das genau das, was sie wollen."
Den Kampf für Demokratie nach Nawalnys Tod aufzugeben, ist laut Kara-Mursa keine Option. "Wir haben kein Recht dazu, das sind wir unseren gefallenen Kameraden schuldig", appellierte Kara-Mursa an die Menschen in Russland. Der unter schweren gesundheitlichen Problemen leidende Oppositionspolitiker äußerte die Hoffnung, "Russland zu einem normalen, freien, europäischen und demokratischen Land zu machen".
Kara-Mursa war im vergangenen Jahr für schuldig befunden worden, "falsche Informationen" über die russische Armee verbreitet und Verbindungen zu einer "unerwünschten Organisation" unterhalten zu haben. Er hatte sich jahrelang für westliche Sanktionen gegen den Kreml eingesetzt. Er stand sowohl Nawalny als auch dem 2015 getöteten Oppositionspolitiker Boris Nemzow nahe.
Der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow forderte härtere Sanktionen gegen Putin-Verbündete. Es gebe "noch immer Menschen, die beträchtliche Vermögen im Westen haben, und die Putin lieb und teuer sind", sagte Wolkow vor dem Außenausschuss des Europaparlaments in Brüssel. Die bisherigen Sanktionen der EU reichten nicht aus. "Die bestmögliche Reaktion wäre, Putins Freunde zu verfolgen und ihre Vermögen zu beschlagnahmen."
Die im Exil lebende belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja rief demokratische Regierungen derweil dazu auf, den Tod von Nawalny mit Taten und nicht nur mit "Worten der Unterstützung" zu einer "roten Linie" zu machen. "Nawalnys Tod könnte ein grünes Licht oder eine rote Linie für weitere Morde sein", sagte sie vor Reportern in Wien. Die Regierungen sollten ein "starkes Signal" in Form von "Sanktionen oder Rechenschaftsmechanismen" senden, um sicherzustellen, dass "diejenigen, die ihre Gegner töten, vor Gericht gestellt werden".