
Damit folgte das Gericht nicht eins zu eins dem Beschluss des Bundestages. Mit Stimmen der Ampelfraktionen hatte dieser entschieden, dass die Wahl teilweise wiederholt werden sollte. Nach Ansicht von SPD, Grünen und FDP wären 327 der 2256 Wahlbezirke der Hauptstadt betroffen gewesen sowie 104 der 1507 Briefwahlbezirke. Dagegen klagte die CDU/CSU-Fraktion in Karlsruhe, weil der Beschluss nach Ansicht der Union rechtswidrig gewesen sei. Dem Bundesverfassungsgericht zufolge ist der Beschluss des Bundestages aber "überwiegend rechtmäßig". Die Richterinnen und Richter nannten allerdings weitere Wahlbezirke, in den die Wahl wiederholt werden muss.
In der Hauptstadt war es am 26. September 2021 zu chaotischen Szenen gekommen – die Wahl fand parallel zum Berlin-Marathon statt. So bildeten sich lange Warteschlangen. Stimmzettel fehlten oder waren falsch, sodass die Wahl teilweise um mehr als 100 Minuten unterbrochen wurde. Es gab zu wenige Wahlkabinen. Manche Stimmen wurden nach dem eigentlichen Wahlende um 18 Uhr abgegeben. Sogar Minderjährige wählten den Bundestag, obwohl diese dazu gar nicht berechtigt sind.
Der erste parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, sagte dem RND: "Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde heute ein rechtlicher Schlussstrich unter die unsäglichen Berliner Wahlen gezogen, die 2021 vom ehemaligen rot-rot-grünen Senat auf dem Niveau einer Bananenrepublik organisiert worden sind."
Der CDU-Politiker nannte das Urteil "wegweisend". Das Bundesverfassungsgericht habe erstmals eine genaue Definition möglicher Wahlfehler vorgelegt, die den Bundestag bei künftigen Wahlprüfungsverfahren leiten werde. "Das von unserer Fraktion erstrittene Urteil stärkt damit das Vertrauen in die Integrität des Verfahrens." Auch der CDU-Politiker Mario Czaja, der den Wahlkreis Berlin-Marzahn-Hellersdorf vertritt, sagte: "Das ist kein Ruhmesblatt für Berlin. Es bietet aber die Chance, uns als konstruktive Opposition im Deutschen Bundestag zusätzlich zu stärken und den Druck auf die ausgesprochen schlechte Bundesregierung zu erhöhen." Auch in seinem Wahlkreis werden einige Wähler erneut abstimmen müssen, dies wird aber nicht ausschlaggebend sein.
Je nach Wahlausgang kann die Wahlwiederholung Auswirkung auf die Besetzung des Bundestages haben – mit großen Verschiebungen ist aber nicht zu rechnen. Die Linkspartei und das Bündnis um Ex-Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht – kurz: BSW – können aufatmen. Die Linkspartei ist 2021 trotz Fünf-Prozent-Hürde in den Bundestag gekommen, weil sie drei Direktmandate erlangte. Zwei davon in Berlin: Gregor Gysi im Bundestagswahlkreis Berlin-Treptow-Köpenick und Gesine Lötzsch im Bundestagswahlkreis Berlin-Lichtenberg. Dort betrifft die Wahlwiederholung nur sehr wenige Wahlbezirke, deswegen werden Gysi und Lötzsch ihre Direktmandate halten können.
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch teilte auf dem sozialen Netzwerk X (früher Twitter) mit, er sei "erleichtert". Weiter sagte der Bundestagsabgeordnete: "Damit bleibt Die Linke im Deutschen Bundestag. Wir werden unsere Aufgabe als DIE soziale Opposition wahrnehmen." Auch CDU-Politiker Frei sagte über das Urteil: "Auf die Zusammensetzung des Bundestages wird es allenfalls sehr geringe Auswirkungen haben. Insbesondere die Mandate, die den Verbleib der Linken und des BSW im Parlament sichern, werden nach menschlichem Ermessen nicht betroffen sein."
Veränderungen könnte es etwa in Berlin-Pankow geben, dort müssen die Menschen in besonders vielen Wahlbezirken erneut zur Wahlurne schreiten. Der Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar hatte 2021 das Direktmandat geholt. Zudem dürfte die Wahlbeteiligung durch die Wiederholung sinken - auch weil der 11. Februar der letzte Tag der Winterferien ist.