Expertinnen und Experten erwarten Rabattschlachten. Während ein Bündnis aus Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbänden sowie der evangelischen Kirche mehr staatliches Engagement bei der Transformation der Schlüsselbranche fordert.
Insgesamt 855.000 neue Autos kamen im vergangenen Monat auf die Straßen der Europäischen Union. Besonders hoch mit gut 20 Prozent fiel das Plus in Frankreich aus. Fast alle großen Märkte verzeichneten zweistellig Zuwächse. Nur für Deutschland meldet der europäische Autoverband ACEA ein eher bescheidenes Wachstum von 4,9 Prozent. Und: Das Vorkrisenniveau ist in der EU noch immer weit entfernt. Im Oktober fehlten nach Berechnungen der Prüf- und Beratungsgesellschaft EY rund 50.000 Neuwagen im Vergleich zu 2019.
Das Marktwachstum halte zwar an, aber die Aussichten seien alles andere als rosig, so Constantin Gall, Autoexperte bei EY. Während er für 2023 eine Steigerung beim Neuwagenabsatz von 16 Prozent erwartet, "wird es im kommenden Jahr kaum noch aufwärts gehen". Die Konjunkturschwäche werde noch stärker durchschlagen, Autokäuferinnen und -käufer würden sich wegen hoher Finanzierungskosten zurückhalten. Und fehlende Komponenten und Softwareprobleme kämen auch noch hinzu.
Ähnlich fällt die Diagnose von Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer für den heimischen Automarkt aus. Die Auftragseingänge der hiesigen Konzernmarken für Deutschland seien "auf einen neuen Tiefpunkt" gesunken – sie stehen für etwa zwei Drittel der nationalen Neuzulassungen. Dudenhöffer erwartet zumindest für die nächsten sechs Monate schwache Verkäufe: "Wir sitzen in der Autorezession."
Die Folge: Hersteller und Händler versuchen bereits jetzt, mit attraktiven Finanzierungen und günstigen Sondermodellen den Absatz anzukurbeln. "Die Kunden können sich freuen: Es gibt wieder Rabatte", so Gall. Aus Dudenhöffers aktuellem Car-Auto-Report geht hervor, dass die Preissenkungen bereits jetzt den höchsten Wert seit 54 Monaten erreicht haben. Diese Tendenz dürfte sich fortsetzen.
Besonders arg dürfte es ausgerechnet das Elektrosegment treffen. Hier wollte die Bundesregierung – zumindest bislang – eine Art Dauerboom inszenieren, damit auch zum Zwecke des Klimaschutzes 15 Millionen Stromer im Jahr 2030 über Deutschlands Straßen rollen. Derzeit sind es noch weniger als 1,4 Millionen. Im Oktober kamen gut 34.000 Batterie-Elektrische (BEV) hinzu. Im November und Dezember könnte diese Zahl durchaus noch einmal steigen. Denn in den beiden Monaten gibt es noch pro Fahrzeug eine Kaufprämie in Höhe von 4500 Euro vom Staat.
Mit dem Jahreswechsel wird die Summe auf 3000 Euro gesenkt. Die Nachfrage nach BEV werde sich dann, so Gall, "auf einem niedrigen Niveau einpendeln". Denn der Vergleich mit anderen EU-Ländern zeigt für den EY-Experten auch im Oktober: "Wo viel gefördert wird, wird auch viel gekauft." Wobei es auch nicht auszuschließen ist, dass die staatliche Prämie im neuen Jahr komplett kassiert wird – wegen des Karlsruher Urteils zum Bundeshaushalt. Das wäre ein zusätzlicher herber Rückschlag für die Elektromobilität. Zumal sich das Interesse an E-Autos nicht in dem Maße entwickelt hat, wie Autobauer es erhofft hatten.
Das Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende, in dem sich zehn Organisationen zusammengeschlossen haben, fordert in einem am Dienstag vorgelegten Strategiepapier, gleichwohl zügig staatliche Unterstützungen: "Die Bundesregierung sollte nachsteuern und rasch die Instrumente zur Förderung nach sozialen und ökologischen Kriterien ausrichten."
Sinnvoll sei unter anderem eine CO₂-orientierte Anpassung von Dienstwagenbesteuerung und Kfz-Steuer und die Ausrichtung der Förderinstrumente am CO₂-Fußabdruck der Fahrzeuge. Staatliche Zuschüsse müssten sich zudem auf "ressourcensparende Fahrzeuge" fokussieren, heißt es in dem Papier. Damit verbindet das Bündnis, dem unter anderem die IG Metall, der Sozialverband VdK und die Umweltschützer des BUND angehören, einen Appell an die Autobauer, solche Fahrzeuge auch noch zu erschwinglichen Preisen auf den Markt zu bringen.
Aktuell ist die E-Mobilität etwas für Besserverdienende. Der Durchschnittspreis für ein BEV liegt derzeit in der EU bei rund 48.000 Euro. Da sieht Gall durchaus Luft nach unten: "Um die teils sehr ambitionierten Absatzziele zu erreichen, werden die Autohersteller ihre Preispolitik überdenken und zudem zunehmend auch Fahrzeuge im niedrigeren Preissegment anbieten."
Erste Ergebnisse solcher Denkprozesse sind unter anderem im französisch-italienischen Stellantis-Konzern erkennbar. So soll im Frühjahr 2024 die Vermarktung eines kompakten Citroen-BEV (e-C3) starten – zu Preisen ab 23.300 Euro. Bleibt die Förderung bestehen, wird der Wagen für 18.000 Euro (inklusive Herstellerzuschuss) zu haben sein. Ein Jahr später soll der legendäre erste Renault Twingo mit einem Facelift und elektrifiziert reanimiert und für weniger als 20.000 Euro verkauft werden. VW will ebenfalls 2025 den ID2 präsentieren, der aber wohl jenseits der 20.000er-Marke angesiedelt sein dürfte.