Diese Bedenken sind nicht neu – sie stehen im Raum, seit Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Edi Rama Anfang November über das Abkommen informiert hatten. Der Pakt sieht vor, dass Italien auf albanischem Territorium zwei große Asylzentren mit zusammen 3000 Plätzen bauen und betreiben kann. In die beiden Lager sollen ausschließlich Migranten gebracht werden, die im Mittelmeer von der italienischen Küstenwache oder von Schiffen der Finanzpolizei gerettet werden. Die zwei Lager sollen unter italienischer Gerichtsbarkeit stehen und von italienischem Personal betrieben werden. Auch die Kosten sollen vollumfänglich von Italien übernommen werden. Laut Medienberichten hat Rom bereits eine "Garantiesumme" von 100 Millionen Euro an Tirana überwiesen.
Nach dem Scheitern des im Juli ebenfalls mit Pauken und Trompeten verkündeten Migrationsabkommens mit Tunesien ist die Intervention des albanischen Verfassungsgerichts bereits die zweite kalte Dusche für Meloni bei ihren Bemühungen, die Zahl der ankommenden Bootsflüchtlinge zu reduzieren. Es ist zwar durchaus möglich, dass das höchste albanische Gericht die Verfassungsklagen abweisen und der Ratifizierung durch das Parlament in den nächsten Wochen oder Monaten grünes Licht geben wird.
Ähnliche Klagen drohen jedoch auch in Italien, wo – entgegen den ursprünglichen Plänen Melonis – das Parlament den Pakt ebenfalls noch gutheißen muss. Das entsprechende Gesetz zur Ratifizierung hat die Regierung noch nicht vorgelegt.
Ministerpräsidentin Meloni hatte das Abkommen am Dienstag noch wortreich gelobt. "Das Abkommen mit Tirana ist dazu bestimmt, ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Menschenhändler zu werden. Wir wollen nur denjenigen die Einreise in das europäische Hoheitsgebiet ermöglichen, die das Recht auf internationalen Schutz haben", sagte Meloni. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte sich positiv zu dem Pakt geäußert: Es handle sich um ein "Modell, das Beachtung verdient" – als Beispiel für eine Initiative "außerhalb der üblichen Denkschemata, basierend auf einer gerechten Verteilung der Verantwortlichkeiten mit Drittstaaten". Der Europarat dagegen kritisierte den Deal: Er werfe mehrere Menschenrechtsbedenken auf und trage zu einem "besorgniserregenden europäischen Trend" zur Auslagerung der Asylverantwortung bei.
Für die italienische Opposition ist der umstrittene Pakt vor allem eines: Ein Wahlspot der rechtsnationalistischen Meloni im Hinblick auf die Europawahlen vom kommenden Juni. Denn selbst wenn das Abkommen alle verfassungsrechtlichen und institutionellen Hürden nähme, würden die beiden Migranten-Lager in Albanien nur zu einer sehr geringfügigen Entlastung der italienischen Asylstrukturen beitragen.
Meloni hatte zunächst erklärt, dass dank der von ihrer Regierung auf einen Monat verkürzten Asylverfahren insgesamt 36.000 Migranten jährlich nach Albanien gebracht werden könnten, nämlich 3000 jeden Monat. Inzwischen musste die Regierung einräumen, dass die Asylbewerber bis zu 18 Monate dort bleiben werden, weil die große Mehrheit von ihnen nicht abgeschoben werden kann. Und wer nicht abgeschoben werden kann, wird von Albanien nach Italien gebracht.