Fast zwei Monate nach den Parlamentswahlen in Frankreich steht die Ernennung eines neuen Premierministers kurz bevor. Präsident Emmanuel Macron intensivierte am Montag seine Beratungen und traf mehrere Schlüsselpersonen, darunter den ehemaligen sozialistischen Premierminister Bernard Cazeneuve, der als einer der führenden Kandidaten für das Amt gilt.
Die Wahlen zur Nationalversammlung im Juni und Juli führten zu einem politischen Stillstand. Das linke Wahlbündnis unter Führung der Sozialisten konnte sich als stärkste Kraft durchsetzen, verfehlte jedoch die absolute Mehrheit deutlich. Macrons Regierungslager verlor die relative Mehrheit und ist seither auf Koalitionspartner angewiesen. Dies erschwert die Regierungsbildung und führt zu einer schwierigen Suche nach einem Premierminister, der im Parlament eine Mehrheit hinter sich versammeln kann.
Bernard Cazeneuve, der 61-jährige ehemalige Premierminister und Innenminister unter Präsident François Hollande, gilt als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des Premierministers. Cazeneuve trat aus der Sozialistischen Partei aus, als diese eine Allianz mit den Linkspopulisten einging. Sein Umfeld betont, dass er "aus Pflichtgefühl" bereit sei, das Amt zu übernehmen. Cazeneuve genießt über Parteigrenzen hinweg Respekt, vor allem für seine Rolle während der Terroranschläge von Paris 2015.
Cazeneuve traf am Montagmorgen mit Macron zusammen, und das Gespräch wird als wichtiges Signal für seine mögliche Ernennung gewertet. Der frühere Premierminister könnte für Macron eine sichere Wahl sein, da er bereits Regierungserfahrung gesammelt hat und in Krisensituationen als stabilisierende Kraft galt.
Macron beriet sich außerdem mit seinen beiden Vorgängern im Präsidentenamt, dem Sozialisten François Hollande und dem Konservativen Nicolas Sarkozy. Solche Treffen sind in Frankreich Tradition, wenn es um nationale Entscheidungen von großer Bedeutung geht. Sarkozy sprach sich offen für Xavier Bertrand, einen konservativen Regionalpräsidenten, als Premierminister aus. Bertrand, der ebenfalls am Montag Gespräche mit Macron führte, hat sich als ein möglicher Kandidat für das Amt ins Spiel gebracht.
Bertrands mögliche Ernennung würde Macrons Bemühungen unterstreichen, neue politische Allianzen zu schmieden. Sarkozy, der trotz seiner umstrittenen Vergangenheit weiterhin eine einflussreiche Figur in der französischen Politik ist, unterstützt Bertrand öffentlich und sieht in ihm einen geeigneten Kandidaten, um das gespaltene konservative Lager zu einen.
Macron hat die bisherige Regierung unter Premier Gabriel Attal geschäftsführend im Amt belassen, um während der Olympischen und Paralympischen Spiele politische Stabilität zu gewährleisten. Da die Spiele am 11. September enden, drängt nun die Zeit für die Regierungsbildung. Die neue Regierung muss bis Anfang Oktober einen Haushaltsentwurf für 2025 vorlegen, eine Herausforderung angesichts der tiefen politischen Gräben und der gespaltenen Nationalversammlung.
Traditionell schlägt das größte Lager in der Nationalversammlung einen Kandidaten für das Amt des Premierministers vor. Das linke Bündnis nominierte die weitgehend unbekannte Politikerin Lucie Castets, die bei Macron jedoch auf Ablehnung stieß. Der Präsident hat das Recht, den Premierminister frei zu ernennen, doch dieser muss eine Mehrheit in der Nationalversammlung für die Gesetzesvorhaben der Regierung sichern.
Die Ernennung von Cazeneuve würde jedoch auf Widerstand der radikalen Linken stoßen. Mathilde Panot, Vorsitzende der Linkspartei "La France Insoumise" (LFI), kündigte an, gegen Cazeneuve zu stimmen. "Er gehört der alten Welt an", kritisierte Panot. Das konservative Lager ist ebenfalls gespalten: Während Sarkozy Bertrand favorisiert, will Fraktionschef Laurent Wauquiez lieber in der Opposition bleiben, um seine Chancen bei den Präsidentschaftswahlen 2027 zu wahren.
Auch andere Namen stehen im Raum, darunter Thierry Beaudet, Vorsitzender des Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrats (CESE). Beaudet ist in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt, könnte jedoch als Kompromisskandidat fungieren, falls weder Cazeneuve noch Bertrand ausreichend Unterstützung finden.
Die Ernennung eines Premierministers wird ein entscheidender Moment für Macron sein, der mit dem Versprechen eines radikalen Wandels in die französische Politik eingetreten war. Die kommende Regierung steht vor enormen Herausforderungen, darunter die Bewältigung hoher Staatsschulden und die Verabschiedung eines stabilen Haushalts für 2025.
Wer auch immer das Amt des Premierministers übernimmt, wird in einer politisch polarisierten Nationalversammlung agieren müssen, in der Kompromisse schwer zu erreichen sein werden. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Macron einen Premierminister findet, der das Land aus der politischen Sackgasse führen kann.
Quellen: Agence France-Presse (AFP), France 24