Derzeit liegt das Renteneintrittsalter in Frankreich bei 62 Jahren. Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Schnitt aber später: Wer für eine volle Rente nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger. Mit 67 Jahren gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Rente ohne Abschlag - dies will die Regierung beibehalten, auch wenn die Zahl der nötigen Einzahljahre für eine volle Rente schneller steigen soll. Die monatliche Mindestrente will sie auf etwa 1200 Euro hochsetzen. Mit der Reform will die Regierung eine drohende Lücke in der Rentenkasse schließen.
Nach Wochen hitziger Debatten, Streiks und Protesten verschärfte sich der Ton auf der Zielgeraden der Reform vergangene Woche merklich. Am Donnerstag sollten die beiden Parlamentskammern final über die Reform abstimmen. Der Senat billigte das Vorhaben. Grünes Licht aus der Nationalversammlung, in der die Regierung seit der Parlamentswahl im Juni keine absolute Mehrheit mehr hat, schien jedoch bis zuletzt unsicher. In letzter Minute entschied die Regierung daher, die Reform mit einem Sonderartikel der Verfassung ohne Abstimmung durch die Nationalversammlung zu drücken. Sowohl die Rechtsnationalen als auch die Zentrumsgruppe Liot gemeinsam mit den Linken reichten daraufhin einen Misstrauensantrag ein.
Um Blockaden in wichtigen Angelegenheiten zu verhindern, kann die Regierung in Frankreich Vorhaben in sehr begrenztem Umfang ohne Abstimmung durch die Nationalversammlung bringen. Die Zustimmung des Senats ist dennoch nötig. Zu dem Sonderartikel kann die Regierung in Haushaltsfragen greifen - wie nun bei der Rentenreform. Darüber hinaus darf sie das Mittel nur einmal pro Parlamentsjahr nutzen. Während die Rentenreform mit dem gescheiterten Votum gerettet scheint, fährt die Regierung mit dem Votum eine weitere Schlappe ein. Beobachter hatten einen weniger knappen Ausgang erwartet. Dass die Regierung im Streit um die Reform zu dem Sonderartikel greifen musste, war bereits ein Eingeständnis der Schwäche.
Präsident Macron dürfte möglichst bald einen symbolischen Neuanfang wagen - wohl auch mit aufgefrischter Regierungstruppe. Seit Tagen wird bereits über die Zukunft von Premierministerin Borne spekuliert, die an vorderster Front für die Reform kämpfte und deren immer und immer wieder betonte Suche nach einem Kompromiss letztlich krachend scheiterte. Doch die Personalie ist kompliziert. Borne ist erst die zweite Premierministerin in Frankreich. Ihre Vorgängerin Édith Cresson war in den 1990er Jahren lediglich elf Monate im Amt. Ginge Borne nun, würde sie das noch unterbieten. Macron, der sich gerne als Verfechter der Gleichstellung inszeniert, dürfte dies zu vermeiden versuchen. Gemunkelt wird, dass Borne daher mindestens noch bis Anfang April auf ihrem Posten bleibt.
Doch selbst mit neuen Gesichtern im Kabinett müsste Macron sich auch persönlich fragen, wie er nun weiter machen will und kann. Mit der Rentenreform hat er den Frust Hunderttausender Franzosen auf sich gezogen, der sich in den vergangenen Tagen bei spontanen und teils gewaltvollen Protesten entlud. Die Gewerkschaften wollen weiter mobilisieren, schon für Donnerstag sind weitere Streiks und Proteste geplant. Erwartet wird, dass Macron, der in der Debatte bisher eher im Hintergrund agierte, nun das Wort ergreifen wird. Doch wie er die aufgebrachten Gemüter der mehrheitlich gegen die Reform eingestellten Französinnen und Franzosen besänftigen will, ist unklar. Darauf zu setzen, dass sich nach der Wut in ein paar Wochen Resignation einstellt, könnte riskant sein.
Für die Opposition ist das letzte Wort in dem Streit noch nicht gesprochen. Am Dienstag wollen Linke und Rechtsnationale den Verfassungsrat anrufen. Auch mit einem aus dem Parlament initiierten Referendum wollen sie versuchen, die Reform noch zu Fall zu bringen.
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