Für welche Seite das Herz des Islamisten Erdogan im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern schlägt, ist leicht zu erraten. Dennoch vermeidet der türkische Staatschef jetzt eine öffentliche Parteinahme. Er rief beide Seiten auf, "mit Zurückhaltung zu handeln und von impulsiven Schritten, die die Spannungen verschärfen, abzusehen". Jahrelang profilierte sich Erdogan als Patron radikal-islamischer Bewegungen. Nach dem Sturz der Regierung Mursi in Ägypten und dem Verbot der Muslimbruderschaft nahm die Türkei Tausende Mitglieder der islamistischen Bewegung auf. Heute leben geschätzt 20.000 ägyptische Muslimbrüder im türkischen Exil, darunter Hunderte Führungsfiguren. Viele ließ Erdogan einbürgern.
Die nicht nur im Westen, sondern auch von vielen Nahoststaaten als Terrororganisation geächtete Hamas sieht Erdogan als Befreiungsbewegung. Israel dagegen bezeichnete er häufig als "Terrorstaat". Immer wieder schlug er antisemitische Töne an. Erdogans Rolle als Sponsor der Muslimbrüder und der Hamas vergiftete auch die Beziehungen Ankaras zu den Emiraten, Saudi-Arabien und Ägypten. Die Türkei war im Nahen Osten weitgehend isoliert. Seit dem vergangenen Jahr sucht der türkische Staatschef die Wiederannäherung an Ägypten, die Emirate, Saudi-Arabien und auch Israel.
Im Verhältnis zu Israel spielt dabei die Energiepolitik eine wichtige Rolle. Erdogan möchte Erdgas aus den israelischen Fördergebieten über türkische Pipelines nach Westeuropa leiten. Damit will er Pläne Griechenlands, Ägyptens und Zyperns durchkreuzen, Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer durch eine Unterwasserpipeline unter Umgehung der Türkei nach Europa zu exportieren.
Die Neuorientierung der türkischen Außenpolitik im Nahen Osten ist vor allem wirtschaftlich diktiert. Das Land steckt in einer schweren Währungskrise und braucht dringend Investitionen aus der Golfregion. Um den Weg zu einer Annäherung zu ebnen, begann Erdogan im vergangenen Jahr, seine Haltung gegenüber den Muslimbrüdern zu ändern. Mehrere ihrer TV-Kanäle und Internetportale wurden geschlossen, die Bewegungsfreiheit der Anführer der Organisation eingeschränkt.
Westlichen Sicherheitsexperten bereitet Sorge, dass die Muslimbruderschaft und die Hamas immer enger mit anderen Terrororganisationen wie dem Islamischen Staat (IS) zusammenarbeiten. Unterdessen fliegt die Türkei Luftangriffe auf kurdische Milizen in Nordsyrien, die dort als Verbündete der USA gegen den IS kämpfen. Auch deshalb wird der Krieg in Israel jetzt zum Prüfstein für Erdogan und die Beziehungen der Türkei zum Westen.