Auch am Freitag äußerte Erdogan wieder Kritik an Israels Vorgehen im Gazastreifen. "Seit genau 28 Tagen werden in Gaza Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen", sagte er. Immer wieder hat der türkische Präsident das Vorgehen Israels im Gazastreifen verurteilt, das eine Reaktion auf die Hamas-Terrorangriffe vom 7. Oktober ist. Westlichen Regierungen warf er eine Mitverantwortung für "Massaker" an Palästinensern im Gazastreifen vor. Die Hamas nannte er "eine Befreiungs- und Mudschaheddin-Gruppe, die für den Schutz ihres Landes und ihrer Bürger kämpft".
Die Bundesregierung stellt das vor ein Dilemma. Einerseits muss sie befürchten, dass Erdogan mit seiner antiisraelischen Rhetorik auch in Berlin nicht hinterm Berg hält. Andererseits braucht sie Erdogan etwa bei der Neuauflage des Migrationsabkommens, und bei allen Krisen der vergangenen Jahre sind Deutschland und die Türkei eng verbunden – dafür sorgen allein die rund drei Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund hierzulande. Wie sehr der Westen auf Erdogan angewiesen ist, hat sich zuletzt bei dessen Blockade des Nato-Beitritts Schwedens gezeigt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Erdogan nach dessen Wahlsieg Ende Mai eingeladen.
Kritik an Erdogan gibt es in Berlin vor dem Besuch über Parteigrenzen hinweg. Die türkischstämmigen Abgeordneten Serap Güler (CDU) und Macit Karaahmetoglu (SPD) sprechen sich dennoch gegen eine Absage aus. "Ich glaube, eine Ausladung kann in der jetzigen Situation auch Wasser auf die Mühlen von Erdogan sein und dazu beitragen, dass er weiter gegen den Westen hetzt", sagte Güler dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). "Dennoch müssen wir Erdogan nicht den roten Teppich ausrollen." Der Besuch müsse an klare Forderungen geknüpft werden.
"Scholz muss Erdogan gegenüber klarmachen, dass seine Hetze gegen Israel für uns absolut inakzeptabel ist und wir darauf bestehen, dass er nichts von dem wiederholt", forderte Güler. "Eine gemeinsame Pressekonferenz sollte es nur geben, wenn Erdogan dazu bereit ist, die Hamas als eine Terrororganisation zu bezeichnen." Die Bundesregierung müsse darauf bestehen, dass Erdogan nur offizielle Termine wahrnimmt. "Wir wünschen keine Veranstaltung oder Ähnliches mit der hiesigen türkischen Community und ihm." Die CDU-Abgeordneten sprach sich dafür aus, dass Scholz Erdogan zu einem Besuch in einer KZ-Gedenkstätte einlädt.
Karaahmetoglu, der zugleich Präsident der Deutsch-Türkischen Gesellschaft ist, sagte dem RND: "Erdogans Entgleisungen sind ein neuer Tiefpunkt seiner Kommunikation. Er verharmlost das Morden und Abschlachten der Hamas. Das ist mit nichts zu entschuldigen, schon gar nicht dem anstehenden Kommunalwahlkampf, in dem gerade fast alle türkischen Parteien israelkritische Töne anschlagen. Wie verwerflich seine Aussagen sind, muss ihm der Bundeskanzler bei seinem Besuch aufzeigen, weshalb ich auch dafür bin, dass dieser stattfindet." Die Türkei unter Erdogan sei eine schwierige, aber sehr wichtige Partnerin.
Den Besuch des Länderspiels am 18. November dürfte Erdogan sich kaum entgehen lassen, sollte er dann tatsächlich in Berlin sein. Der Jubel vieler Landsleute im Olympiastadion dürfte ihm sicher sein, unter Deutschtürken hat Erdogan proportional noch mehr Anhänger als in der Heimat. Der Sprecher der Berliner Polizeigewerkschaft GdP in Berlin, Benjamin Jendro, schrieb auf der Plattform X (vormals Twitter): "Ein Großeinsatz, beim Besuch des türkischen Präsidenten sind stets besondere Sicherheitsvorkehrungen nötig." Mit Blick auf das Spiel fügte Jendro hinzu: "Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, könnten Sie Erdogan bitten, das zu Hause vorm Fernseher zu schauen?"