Normalerweise haben sie keine Telefonnummern oder Adressen untereinander, sie schicken keine Nachrichten an Geburtstagen oder anderen besonderen Tagen und sie wissen nicht, ob die anderen verheiratet sind oder welche Hobbys sie haben. Sie unterstützen AEK oder Trelleborg, sie wählen die Christdemokraten oder die Grünen und arbeiten als Zimmerleute oder Anwälte. Aber sobald Schweden auswärts spielt, kommen sie zusammen. Sie teilen Informationen darüber mit, in welchem Hotel sie übernachten, treffen sich auf den Fluren und begrüßen sich in den Aufzügen. Sie verbringen Zeit miteinander in der Hotellobby und derjenige, der an die Bar geht, spendiert allen eine Runde Getränke.
An diesem besonderen Morgen schlendern einige reisemüde Fans zum Buffet, holen sich Rührei und Kaffee und setzen sich zu viert an die Tische. Lisen stützt sich auf eine Krücke, als sie den Raum betritt. Das Knie tut weh. Sie sieht einen freien Stuhl neben ein paar älteren Männern, bewegt sich vorsichtig dorthin und sagt Hallo, bemerkt aber einen Mann allein auf der anderen Seite des Raumes. Es ist die Person, mit der sie gestern Abend in einem Irish Pub gesprochen hat, der Schwede, der heutzutage in der Schweiz lebt. Was war sein Name? Ja das ist es! "Patrick, willst du nicht hierher kommen? Es gibt einen freien Stuhl für Sie."
Patrick geht zögernd herüber. Ihm wird der letzte Platz am Tisch angeboten, obwohl die Frau, die ihn herbeigerufen hat, gerade operiert wurde. Er grüßt Kent und Pelle. "Guten Morgen, morgen wird es ein hartes Spiel. Bist du schon nervös?" Patrick passt sofort rein. Als Lisen sich auf den Weg zu einem anderen Tisch macht, fällt ihr auf, dass er genauso zurückhaltend und auf leisen Sohlen komisch wirkt wie die anderen.
Am nächsten Tag sorgt Emil Forsberg mit einem Elfmeter gegen Slowenien in der Nations League für den 1:0-Endstand, bevor Dejan Kulusevski den Ball in die untere Netzlinie drückt. 2:0. "Die Alte-Mann-Gang" ist mitten unter den Auswärtsfans. Ihr Gesang ist etwas leiser als der der anderen, manchmal sieht es sogar so aus, als würden sie mimen, aber wer alle Gesichter kennt, bemerkt einen neuen Menschen in der Gruppe. Neben Kent und Pelle steht Patrick. Eine neue Freundschaft ist entstanden. Beim nächsten Auswärtsspiel ist es nicht mehr möglich, alleine zu frühstücken. Kent, Pelle und Patrick sind unzertrennlich geworden. Sie interessieren sich für Kultur und besuchen Museen, verbringen aber auch gerne ruhige Stunden bei Gubbmys und einem Grappa.
Wie hat Pelle übrigens Kent kennengelernt? Vor langer Zeit haben sie sich auf einer Auswärtsreise ein Zimmer geteilt. Und Lisen? Niemand erinnert sich. Eines Tages saß sie einfach neben den anderen und seitdem gehören sie zusammen. Patrick, Kent und Pelle gelten als eine Einheit, eine harmlose, Bande. In Tallinn philosophieren sie. Lachen. Ein Bier hier, ein Kaffee dort, ein starkes Getränk nebenbei. Einmal ziehen sie Arm in Arm mit Lisen durch das Zentrum von Lissabon, wie eine Gruppe Seeleute.
An einem herbstlichen Samstag in Brüssel im Jahr 2023 bestellen sie doppelten Espresso und Cognac. In zwei Tagen trifft Schweden in einem Qualifikationsspiel zur EM 2024 auf Belgien, das fast keine Bedeutung hat. Die Mannschaft hat nicht gut genug gespielt. Die EM ist ein ferner Traum, daher reisen nur diejenigen auf die Reise, die glauben, dass es beim Fußball um mehr geht als nur um die Punkte, die es zu gewinnen gibt. Patrick, Kent und Pelle sind unter denen, die dort sind. Sie wollen die Mannschaft von Janne Andersson bis zum Schluss unterstützen, beim Aufwärmen singen und ihre Treue zeigen.
Und sie wollen Zeit miteinander verbringen. Setzen Sie sich so zusammen, wie sie gerade sitzen, auf weißen Holzstühlen. Patrick gibt jemandem sein Handy und bittet ihn, ein Foto zu machen. Auf Facebook postet er eine Nachricht mit der Aufschrift: "Treffen mit ‚alten‘ Freunden vor dem Schweden-Spiel. Danke an Lisen, der uns zusammengebracht hat." Vor ihnen liegen zwei Brillen. Kent trägt einen gelben Kapuzenpullover. Pelle ist an ihre Seite getreten und beugt sich zu Patrick, der der Person, die das Foto macht, ein Glas hebt. An diesem Abend essen sie zusammen zu Abend. Am Sonntag erledigen sie touristische Dinge und am Montag bereiten sie sich auf das Spiel vor. Kurz vor sieben Uhr abends halten sie ein Taxi an und bitten den Fahrer, sie zum Stadion zu bringen.
Die Fahrt führt durch Brüssel in der Abenddämmerung. Die Sonne ist gerade hinter den Jugendstilhäusern untergegangen und die Passanten ziehen ihre Jacken gegen die Kälte hoch. Das Taxi wendet sich dem Kanal zu. Die drei Passagiere haben in ihrem Leben viele Stadien und Tribünen gesehen, aber das König-Baudouin-Stadion werden sie nicht erreichen. Fünf Kilometer vom Stadion entfernt hält ein Moped, der Fahrer in einer orangefarbenen Warnweste steigt ab und eröffnet das Feuer auf sie. Der Kugelhagel tötet Patrick und Kent. Auch Pelle wird getroffen, überlebt aber und wird ins Krankenhaus gebracht. Das Spiel zwischen Belgien und Schweden beginnt, wird aber zur Halbzeit abgebrochen. Am nächsten Morgen wird der Terrorist von der Polizei erschossen.
Der Terroranschlag hat Auswirkungen auf Politik, nationale Sicherheit und Sport. Es ruft Traurigkeit, Wut und Angst hervor. Aber wenn Freunde und Verwandte der Opfer in der darauffolgenden Woche die Zeitungen lesen, kommt es ihnen so vor, als würde eine Zutat fehlen. Wo ist die Wärme? Warum wirkt die Berichterstattung über drei sanfte Freunde so emotionslos? Gibt es nicht auch in diesen Zeiten des Schreckens Raum, eine Geschichte der Liebe füreinander und für den Fußball zu erzählen?
Ja, und Lisen Altis ist die beste Person, um es zu sagen. Zu Hause in Sollentuna, außerhalb von Stockholm, arbeitet sie bei einer Versicherungsgesellschaft, doch vor den schwedischen Herrenspielen verändert sich ihre Persönlichkeit. Sie wird kontaktfreudiger, glücklicher und kümmert sich noch mehr um das Wohlergehen anderer Menschen. Vor Schwedens Spielen tritt sie nicht nur dem landesweiten Fanclub Camp Sweden bei, sondern bringt auch Energie, Humor und Freundlichkeit mit.
"Früher nannten sie mich ‚Die Königin von Camp Sweden‘", sagt Lisen, als ich mit ihr telefoniere. Seit sie ihre Freunde verloren hat, sei ihr Gehirn völlig durcheinander, sagt sie. Sie warnt mich, dass sie in einem Moment weint, dann im nächsten plappert, bevor sie verstummt. Trotz alledem ist es kein Problem, sie in unseren Zeitungsbüros zu treffen. "Ich muss, weil es meine Jungs sind. Meine alte Männerbande. Jeder muss verstehen, wer sie waren und was für nette Menschen sie waren."
Also treffen wir uns. Lisen trinkt schwarzen Kaffee und versucht sich zu erinnern. Sie gestikuliert wild und verzieht ihr Gesicht, um die Tränen zurückzuhalten. Sie ruft einen Unterstützer an, um ein Detail auszufüllen, dann noch eines und noch eines. Laut Lisen ist die schwedische Fußballfamilie erleichtert, dass ein Artikel geschrieben wird, und möchte mit Informationen beitragen. Vielen von ihnen ist es jedoch zu schmerzhaft, Interviews zu geben. "Sobald ich in einer neuen Stadt ankam, waren es die Leute, die ich suchte", sagt Lisen. "Zwischen den Spielen hatte man keinen Kontakt, aber dann sind sie einfach aufgetaucht und haben mich in den Arm genommen. Ich hatte zwei Familien, eine zu Hause und die andere auf meinen Reisen. Kent, Pelle und Patrick waren meine älteren Brüder."
Die drei Männer redeten ähnlich, waren gleichermaßen großzügig und Persönlichkeiten. "Kent hatte früher diesen wirklich hässlichen Filzhut auf dem Kopf. Es hatte Hörner und war voller Pins aus alten Spielen. Er war der ruhigste von ihnen, redete nicht so viel." Pelle sei der Witzbold gewesen, sagt Lisen. "Er war so glücklich, uns zu sehen. "Ahhh, da bist du ja", sagte er mit hoher Stimme. 'Ich habe dich vermisst!' Er war nie sexistisch oder grob, aber er feuerte diese Sticheleien voller Liebe ab. Ein Funkeln in seinen Augen. Man setzte sich neben ihn und sofort erschien ein Bier. Und Patrick …"
Lisen bricht zusammen und macht eine Pause, um sich alte Bilder anzusehen und versucht, die richtigen Worte zu finden. "Er war derjenige von den dreien, der sich am meisten für Fußball interessierte", sagt sie. "Er hatte viele Mädchenmannschaften trainiert, war aber jetzt so etwas wie ein Ground-Hopper, jemand, der reiste, um sich Stadien anzusehen. Und es genügte, ein wenig mit ihm zu reden, um zu erkennen, wie nett er war. Durch und durch schön." Lisen ist nicht abgeneigt, ihre eigene schlecht sitzende Kopfbedeckung zu tragen. Ein Favorit war ein Kranz mit gelben und blauen Plastikblumen. Als sie das Denkmal im schwedischen Nationalstadion Friends Arena besuchte, legte sie es ab. "Ich habe daraus eine Herzform gemacht. Das haben meine Jungs verdient."
Pelle kehrte nach neun Tagen in einem belgischen Krankenhaus nach Schweden zurück. Er hat eine oberflächliche Kopfverletzung durch Schussfragmente, die sich auf einen seiner Arme ausgewirkt hat, aber er hofft, mit Physiotherapie seine Beweglichkeit wiederzuerlangen. Kent und Patrick hatten ihre Beerdigungen.
Lisen weiß nicht, wie sie ihre Gefühle kanalisieren soll. Sie möchte reden, trotz des Schmerzes, den es mit sich bringt, und sie muss ihre dunkelsten Gedanken mitteilen. "Nachdem es passiert war, hatte ich ein schlechtes Gewissen", sagt sie. "Es fühlte sich an, als wäre alles meine Schuld. Wenn ich nur nicht irgendein verdammter Vermittler gewesen wäre. Alle sagen mir, dass ich nicht so denken soll und dass ich das Band sowieso nicht zurückspulen kann. Also versuche ich, mich an etwas anderes zu erinnern. Weil die Jungs so glücklich zusammen waren. Sie waren verdammt glücklich."
Die vier waren sich sehr ähnlich. Ihre Liebe zum Fußball war wie ein riesiges Feuer, aber von der Art, dass junge Schlaumeier sie nur selten verstanden, weil sie nicht auf Formationen oder Gruppentabellen angewiesen war. Sie liebten die Nationalmannschaft. Sie liebten einander, die ganze Gruppe reisebegeisterter Menschen. Sie liebten es, in einer fremden Stadt zu landen, eine gelb-blau gekleidete Person zu sehen und mit ihnen zu scherzen, an einem Spieltag gemeinsam zu marschieren. "Einer von ihnen verließ immer den Marsch und rannte in ein Geschäft", sagt Lisen. "Wer trinkt ein Bier oder eine Cola? Dann würde er herauskommen und es verteilen, ohne sich darum zu kümmern, wer wofür bezahlt."
Mittlerweile ist alles kaputt. Eine Vase wurde auf den Boden geworfen und die Teile werden nie wieder zusammengesetzt. Überall in Schweden gibt es Menschen, die mit ihnen angestoßen und gescherzt haben, Männer und Frauen, die beim nächsten Spiel auf die versammelten Fans blicken, aber merken, dass da ein hässlicher Filzhut fehlt.
Dies ist ein Auszug aus dem Artikel vom Oktober 2023 der schwedischen Zeitung Aftonbladet.