Nach Einschätzung des Deutschen Wetterdiensts ist allerdings wissenschaftlich nicht belegt, dass die Hagelkörner langfristig tatsächlich größer - und damit gefährlicher - geworden sind. Der Hagelsturm "Denis", der in der Versicherungsbranche Aufsehen erregte, ging am 26. August über Oberbayern und Teilen Schwabens nieder. Am schwersten getroffen wurden laut Versicherungskammer Bad Bayersoien, Benediktbeuern und Königsbrunn, drei idyllische Gemeinden im Alpenvorland.
Allein bei der Versicherungskammer gingen 17.500 Schadenmeldungen ein, darunter eine Vielzahl von Großschäden: "Komplett zerstörte Dächer, vielfach zerstörte Häuserfassaden, häufig sind auch die Fensterscheiben zerstört worden", fasst Christian Krams zusammen, Leiter Konzern-Schaden bei der Versicherungskammer Bayern.
"Das waren schon keine Hagelkörner mehr, sondern bis zu zehn Zentimeter große Hagelbälle, die sich in den Innenräumen ähnlich wie Billardkugeln verhalten haben und dort auch noch einmal Zerstörungen angerichtet haben." So wurden viele Häuser sowohl außen als auch innen stark beschädigt. "Und damit haben wir erheblich höhere Schadendurchschnitte", sagt Krams.
Bei der Allianz gingen für "Denis" und die unmittelbar danach folgende Unwetterfront "Erwin" bundesweit 37.000 Schadenmeldungen mit einem Bruttoschaden von 290 Millionen Euro ein. In Benediktbeuern wurden demnach rund 70 Prozent der bei der Allianz versicherten Gebäude beschädigt. "Denis/Erwin war ein außergewöhnlich starker Hagel, was Hagelkorngröße und –intensität betraf", sagt eine Sprecherin. Grundsätzlich seien Hagelereignisse immer sehr regional begrenzt. "Somit haben wir bei Hagelereignissen immer eine sehr starke Konzentration auf kleinem Raum."
Noch größere Hagelkörner als in Oberbayern wurden in diesem Jahr in Norditalien beobachtet. "Der Klimawandel trägt dazu bei, unwetterträchtige Wetterlagen zu begünstigen, die wiederum das Potenzial für die Bildung von schweren Hagelunwettern mit sich bringen", sagt eine Sprecherin der Munich Re.
Der Rückversicherer verweist auf Studien, denen zufolge für Mittel- und Südeuropa ein Trend zu Hagelkorngrößen von über fünf Zentimetern in den vergangenen Jahrzehnten gut belegt ist. Die Munich Re erfasst und dokumentiert seit Jahrzehnten Naturkatastrophen rund um den Erdball, weil dies für die Berechnung der Versicherungsbeiträge von großer Bedeutung ist.
Für die Versicherungskammer bedeutete das Unwetter den zweitgrößten Schaden der über zweihundertjährigen Firmengeschichte. Zunächst ging das Münchner Unternehmen von 170 Millionen Euro aus, kürzlich erhöhte sich diese Schätzung auf 230 Millionen Euro. "Bei Hagel kann es auf kleinem Raum zu sehr großen Zerstörungen kommen, und wenige hundert Meter weiter ist fast gar nichts", sagt Krams.
"Was mich wirklich erstaunt, ist, dass wir in Bayern im Vergleich der 16 Bundesländer die niedrigste Versicherungsquote bei Sturm und Hagel haben", meint der Manager. Demnach sind 81 Prozent der Privatgebäude im Freistaat gegen Sturm und Hagel versichert. Das bedeutet umgekehrt, dass fast jedes fünfte Haus keinen Versicherungsschutz gegen Gewitter hat.
Nach Angaben des Gesamtverbands der Versicherer schwanken die jährlichen Schadenssummen nach Sturm und Hagel stark. Im vergangenen Jahr lag der Schadenaufwand demnach bei rund drei Milliarden Euro. Wer getroffen wird und nicht versichert ist, steht angesichts bis zu sechsstelliger Schäden womöglich vor dem Ruin. "Solche Fälle gibt es auch in der Unwetterregion, das sind echte Schicksale", sagt Krams.
Die Kausalität für wachsende Zerstörungskraft des Hagels sei aus wissenschaftlicher Sicht plausibel, heißt es bei der Munich Re. "Ein wärmeres Klima kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, und damit steigt die potenzielle Energie für schwere Unwetter."
Es handelt sich auch keineswegs um ein rein bayerisches Phänomen. "Die Hagelhotspots in Deutschlands liegen in den Regionen zwischen Nordschwarzwald und Schwäbische Alb - Raum Stuttgart und südlich - dem Alpenvorland südlich von München, teilweise am zentralen Erzgebirgsrand südwestlich von Dresden sowie im Umfeld einiger westdeutscher Mittelgebirge", sagt Lothar Bock, Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst in München.
In Deutschland dokumentiert sind demnach bislang Hagelkörner bis zu 14 Zentimeter Durchmesser. "Eines wurde am 6. August 2013 bei Undingen auf der Schwäbischen Alb gefunden." Das in Fachkreisen bekannteste - und für die Versicherer teuerste - Unwetter dieser Art in Deutschland ist bislang ein Hagelsturm, der 1984 Teile Münchens und Umgebung traf, mit Korngrößen bis 10 Zentimeter.
Ob schwere Hagelstürme heutzutage häufiger auftreten als ehedem, ist laut DWD aber nicht abschließend geklärt. "Auf Basis der mir vorliegenden Daten lässt sich das bisher nicht bestätigen", meint Bock. "Die Bereiche mit Hagelschäden und die ohne sind oft klar abgegrenzt, das liegt aber in der Natur der Hagelschläge."
"Großhagel" ist demnach an eine entsprechende Gewitterzelle beziehungsweise Superzelle gebunden, "die eben auch nur einen bestimmten Bereich überdeckt", erläutert der Wissenschaftler.
Ein neues Phänomen ist der Großhagel nach Bocks Worten in Deutschland nicht. Doch ganz unabhängig vom Klimawandel ist Deutschland in Sachen Hagel auch nach Einschätzung des DWD-Fachmanns verletzlicher geworden: Sowohl wegen dichterer Besiedlung als auch wegen gestiegener Vermögenswerte hat demnach die Verwundbarkeit zugenommen. Das bedeutet im Falle eines starken Hagelsturms auch größeren finanziellen Schaden.