Der TV-Sender GB News gilt als Bastion der Brexit-Anhänger. Doch was die jüngste Umfrage des Kanals ergab, raubte selbst dem Moderator die Sprache. Dass 55 Prozent der Zuseher den EU-Austritt mittlerweile für eine schlechte Idee halten, bekam Martin Daubney nicht über die Lippen. Die Szene war symbolisch: Nachdem die britische Regierung den Brexit jahrelang gar nicht mehr erwähnt oder zumindest negative Folgen heruntergespielt hatte, ist das Wort tatsächlich wieder in aller Munde. "Zurück in die Zukunft", kommentierte das Portal "Politico".
Auslöser: Ein Bericht der Zeitung "Sunday Times", dass Premier Rishi Sunak wegen der schweren Wirtschaftskrise eine Annäherung an die EU nach dem Vorbild der Schweiz wolle. Damit sollten die entstandenen Barrieren im Handel mit der EU beseitigt werden. Die "Financial Times" schrieb daraufhin unter Berufung auf eigene Recherchen, solche Vergleiche seien in Regierungskreisen gemacht worden.
Sunak dementierte, dass es solche Ideen gebe. "Ich habe für den Brexit gestimmt, ich glaube an den Brexit und ich weiß, dass der Brexit gewaltige Vorteile und Möglichkeiten für dieses Land liefern kann und bereits geliefert hat", sagte der Regierungschef am Montag bei einer Industriekonferenz. Die EU-Kommission teilte mit, man habe kein Angebot gemacht, sondern arbeite auf Grundlage der ausgehandelten Verträge mit London zusammen.
Dass die Diskussion dennoch aufkommt, wundert nicht. Die wirtschaftliche Lage des Vereinigten Königreichs ist schlecht: Rezession, hohe Inflation, Fachkräftemangel und sinkende Reallöhne sind nur die herausstechenden Probleme. Mit Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen will Finanzminister Jeremy Hunt rund 55 Milliarden Pfund (63 Mrd Euro) in die leere Kasse bekommen.
Was aber besonders für Aufsehen in konservativen Kreisen sorgte: Hunt sprach sich für mehr Zuwanderung aus, um die Wirtschaft anzutreiben und Lücken zu schließen - dabei war doch der Ärger über die Freizügigkeit ein Brexit-Treiber. "Verratet uns nicht beim Brexit", warnte die konservative Zeitung "Daily Mail". Die frühere Kulturministerin Nadine Dorries, eine enge Vertraute von Ex-Premier Boris Johnson, teilte den Beitrag bei Twitter.
Johnson gilt noch immer als Gesicht des Brexits. "Get Brexit Done" (Lasst uns den Brexit durchziehen), lautete Johnsons Mantra - und noch immer behaupten viele Konservative, er habe das geschafft. Dabei hat das Austrittsabkommen mit der EU viele Fragen offen gelassen, die noch immer einer Antwort harren. So sorgt der Vertrag zwar weitgehend für problemlosen Handel - dennoch sind Zölle entstanden, und die Bürokratie hat deutlich zugenommen. Der bilaterale Handel brach ein.
Zuletzt nahmen die schlechten Nachrichten für Brexiteers zu. So kritisierte der konservative Ex-Umweltminister George Eustice, das Freihandelsabkommen mit Australien - von der Regierung als erster wichtiger Vertrag nach dem Brexit gefeiert - sei für Großbritannien schlecht. Die unabhängige Wirtschaftsaufsicht OBR betonte, der Brexit habe "erhebliche nachteilige Auswirkungen auf den Handel" mit der EU gehabt und schädige die Wirtschaft nachhaltig. Schließlich ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Yogov, die Zustimmung zum Brexit sei so niedrig wie nie - was ausgerechnet von GB News bestätigt wurde.
Brexit is back, heißt es in London. "Es fühlt sich an, als erkenne die Konservative Partei endlich die wirtschaftliche Realität an", kommentierte Gavin Barwell, einst Stabschef von Premierministerin Theresa May, im Gespräch mit "Politico".
Dass Großbritannien plötzlich den Rückwärtsgang einlegt und in die EU zurückkehrt, ist kaum zu erwarten. In der Konservativen Partei hat der Einfluss der Brexit-Befürworter seit dem Austritt eher noch zugenommen. Zudem lehnt Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei, der laut Umfragen gute Chancen auf einen Sieg bei der nächsten Wahl 2024 hat, eine Rückkehr in den Binnenmarkt ab.
Dass nun aber debattiert wird und der Brexit nicht mehr der Elefant im Raum ist, könnte nach Ansicht von Beobachtern durchaus helfen. Denn um das Land voranzubringen, sei wichtig anzuerkennen, welche Probleme der Brexit ausgelöst hat. Sonst drohe weiter Stillstand.
agenturen/pclmedia