Die CDU hatte am Donnerstag im Thüringer Landtag mithilfe der AfD unter dem dortigen Landesvorsitzenden Björn Höcke, die vom Landesverfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird, Steuersenkungen beschlossen. Der Entwurf für die Senkung der Grunderwerbsteuer wurde auch von der FDP und von Fraktionslosen unterstützt. Dass sich die Opposition gegen die Koalitionsfraktionen durchsetzt, ist wegen der Machtverhältnisse möglich. Linke, SPD und Grüne regieren in einer Minderheitskoalition.
Thüringens CDU-Fraktionschef Mario Voigt erklärt das Vorgehen damit, dass man wichtige Entscheidungen nicht davon abhängig machen könne, ob "die Falschen" zustimmten. Das will Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) nicht gelten lassen, der vorab von einem "Pakt mit dem Teufel" sprach. Die SPD in Sachsen-Anhalt nennt den Vorgang einen "Sündenfall". An einen Zufall glauben Linke, SPD und Grüne nicht. Immerhin ist das die gleiche CDU, die im Jahr 2020 mit der AfD den FDP-Landesschef Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählte. Erst nach einem bundesweiten Aufschrei trat er wieder zurück. Zudem gilt die CDU im Osten in der Frage des Umgangs mit der AfD als uneinig, Teile der Basis dringen auf eine Annäherung zur AfD.
Die CDU-Spitze versteht die Aufregung nicht. Wie sich andere Fraktionen verhielten, dürfe für die Partei nicht Maßstab sein, so Generalsekretär Carsten Linnemann zur "Rheinischen Post". CDU-Chef Friedrich Merz betonte vorher: "Eine Zusammenarbeit mit der AfD wird es auf Bundes- und Landesebene nicht geben. Dabei bleibt es auch." Doch wann fängt diese Zusammenarbeit überhaupt an? Nach Ansicht der Bundesspitze handelt es sich nicht um eine Zusammenarbeit, wenn die CDU einen eigenen Antrag einbringt und Unterstützung von der AfD erhält. Es dürfe aber keine Absprachen geben, hieß es jüngst immer wieder aus dem Adenauerhaus. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in einem Interview ebenfalls, man dürfe sich nicht vom Abstimmungsverhalten anderer abhängig machen. Ein Satz, den CDUler dieser Tage häufig wiederholen.
Die Ramelow-Regierung bezichtigt die Christdemokraten allerdings, mit der rechtsextremen Partei gezielte Absprachen getroffen zu haben. Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) bejahte im Berliner "Tagesspiegel" die Frage, ob er Hinweise auf konkrete Absprachen der beiden Parteien habe. "Es wurden parallel eigene Punkte von der Tagesordnung genommen, um dann die Grunderwerbsteuer behandeln zu können." Die "Thüringer Allgemeine" hatte ähnliches berichtet. Die Christdemokraten wiesen das zurück.
Dem CDU-Europaabgeordneten Dennis Radtke reicht das nicht. "Reflexhafte Empörung von Rot-Rot-Grün bedrückt mich nicht, dennoch muss die CDU Thüringen Transparenz herstellen, wie die Abstimmung am Donnerstag zustande gekommen ist. Die Frage, ob es Absprachen zur Tagesordnung gegeben hat, muss zweifelsfrei beantwortet werden", sagt er dem RND. Es sei klar, dass die CDU ihre eigene Agenda vorantreiben müsse, ohne auf das Abstimmungsverhalten anderer Parteien zu schauen. "Aber wir dürfen nicht in die Falle der AfD tappen."
Ebendiese feierte am Donnerstagabend prompt das Fallen der "Brandmauer". Für die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach von der Freien Universität Berlin hat vor allem die AfD profitiert. "Man kann nicht von der Hand weisen, dass damit erneut Grenzen verschoben werden – und zwar zugunsten der AfD", sagt sie. Eine solche Zusammenarbeit demokratisiere die Partei und mache sie als Partner salonfähig. Radtke ist nicht der einzige CDUler, der dem Vorgang kritisch gegenübersteht. Die Bundestagsabgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker und Ex-Ministerpräsident Tobias Hans äußerten sich ebenfalls aufgebracht. Auch der NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst übte Kritik. Hinter vorgehaltener Hand zeigten sich weitere entsetzt, wollten sich aber öffentlich zurückhalten.
Viele CDUler sprangen Voigt wiederum zur Seite, darunter der brandenburgische CDU-Chef Jan Redmann und der Bundestagsabgeordnete Sepp Müller aus Sachsen-Anhalt. Bundestagsfraktionsvize Mathias Middelberg sagt, dass die Minderheitenregierung auf die CDU hätte zugehen sollen. Der Parteinachwuchs unterstützt die Thüringer CDU ebenfalls: Es gebe zwei Wege, so JU-Chef Johannes Winkel. Entweder die CDU bringe aus eigener Überzeugung Anträge ein oder sie richte ihre gesamte Politik an anderen Parteien aus. Letzteres würde aber die AfD stärken, ist er überzeugt.
Die Unterstützer Voigts werden auch nicht müde zu betonen, dass jüngst die Ramelow-Regierung selbst auf Stimmen der AfD setzte. Dabei ging es um die Änderung eines Untersuchungsausschussauftrags. Dass sich ein Beschluss der CDU mithilfe der AfD wiederholen kann, ist nicht ausgeschlossen – im Gegenteil. "Wir stellen eigenständig die Themen zur Abstimmung, die wichtig für das Land sind", sagt Voigt. Die CDU werbe für "eine breite Unterstützung im gesamten Parlament".
Die Politologin Julia Reuschenbach glaubt gar, dass es für die CDU nun besonders schwierig sein wird, auf Unterstützung durch die AfD zu verzichten. Man werde bei nächsten Gesetzesvorhaben kaum mehr begründen können, warum man sie nicht gemeinsam durch das Parlament bringe, sagt sie. Eine Befürchtung, die auch so manchen CDUler umtreibt.
ag/pcl