Es habe auch keine Wechselstimmung gegeben. "Offensichtlich regiert Boris Rhein lieber mit einer geschwächten SPD", klagte Nouripour. Parteifreunde schwiegen ganz. Auch wenn sich Rheins Entscheidung abzeichnete: Dass er nun Ernst macht, erwischt die Ökopartei trotzdem sehr kalt. Der Liebesentzug liegt nämlich im Trend.
Bei der Bremer Bürgerschaftswahl am 14. Mai büßten die Grünen 5,5 Prozentpunkte ein. Viele Beobachter und Teile der eigenen Partei führten dies unter anderem auf die Entscheidung der Umweltsenatorin Maike Schaefer zurück, die Option zum kostenlosen Kurzparken in Bremen zu streichen. Da die Zeitspanne für den raschen Gang zum Bäcker reichte, wurde die entsprechende Funktion am Parkautomaten "Brötchentaste" genannt. Schaefer nahm als Konsequenz der Wahlniederlage ihren Hut.
Bei der Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 12. Februar hatten die Grünen zuvor zwar nur 0,5 Prozentpunkte abgeben müssen. Umso bitterer ging es danach weiter. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) entschied sich gegen eine Fortsetzung der Linkskoalition und führte ihre Partei als Juniorpartner in eine Große Koalition. Was in Bremen die "Brötchentaste" wurde, war in der Hauptstadt das Votum von Verkehrssenatorin Bettina Jarasch, die Friedrichstraße für den Autoverkehr zu sperren. Das sei Kulturkampf, hieß es – und werde von Wählenden nicht goutiert.
Im bayerischen Landtagswahlkampf wurden die Grünen regelrecht angefeindet und teilweise physisch attackiert. Der Wahltag brachte ein Minus von 3,2 Prozentpunkten. CSU-Ministerpräsident Markus Söder macht trotz Flugblattaffäre des Freie-Wähler-Chefs Hubert Aiwanger mit ihm weiter.
Dabei ist eine gewisse Grünen-Feindlichkeit der Union längst im Regierungsviertel der Hauptstadt angekommen. Oppositionsführer Friedrich Merz und Unionsfraktionsvize Jens Spahn sagen, es gehe gerade in der Flüchtlingspolitik nur ohne sie. Beide hatten sich vor nicht allzu langer Zeit noch bei grünen Fraktionsfesten blicken lassen. So schnell kann’s gehen.
Das Aus in Hessen ist für die Grünen nun doppelt hart. Denn erstens begann hier ihr Wandel zur Gestaltungs- und Machtpartei. Joschka Fischer schloss in Hessen 1985 die erste rot-grüne Koalition. 13 Jahre später wurde er Außenminister. Zweitens präsentierte sich der stellvertretende Ministerpräsident Tarek Al-Wazir als "Modell Doppelhaushälfte" ohne Flausen im Kopf. Kritik wegen des Ausbaus der Autobahn 49 oder des Stillhaltens bei Rechts-Extremismus-Skandalen in den hessischen Sicherheitsbehörden steckte er weg – und stritt mit der CDU bloß hinter den Kulissen. Das ging bisweilen zulasten des Profils.
Genützt hat die Zurückhaltung nichts. Hatten die Grünen vor Monaten gehofft, Jarasch könne in Berlin und Al-Wazir könne in Wiesbaden in die Winfried-Kretschmann-Liga aufsteigen und sie könnten ihre Landesregierungen anführen, so tritt das Gegenteil ein.
Zugleich geraten die Bundes-Grünen inhaltlich in die Defensive. Obwohl der Klimawandel jeden Tag sichtbarer wird, ist Klimaschutz kein großes Thema mehr. Ähnliches gilt für eine wertegeleitete Außenpolitik. In der Flüchtlingspolitik muss die Partei ebenfalls nachgeben. Das zehrt die Identität auf und dürfte beim Bundesparteitag Ende November in Karlsruhe zu der Frage führen, was eigentlich der Lohn ist.
In Umfragen verlieren die Grünen weniger als SPD und FDP. Sie neigen indes mehr dazu, Inhalte preiszugeben, wenn es die Macht zu sichern scheint. Das Beispiel Hessen legt jetzt den Verdacht nahe, dass die Grünen nach den Inhalten auch die Macht verlieren könnten.