
Wenn man den israelischen Regierungen der vergangenen Jahre etwas vorwerfen kann, dann vor allem das Unterlassen von Brückenschlägen zu gemäßigten Palästinensern – während man gleichzeitig große Anstrengungen unternahm, das Verhältnis zu arabischen Staaten zu verbessern. Rückblickend gab es in der 75‑jährigen Geschichte des israelisch-arabischen Konflikts drei Phasen, in denen hoffnungsvolle Brückenschläge über alle Gräben hinweg zu Verhandlungen und Kompromissen führten, was stets bedeutete, dass Israel nach der Formel "Land für Frieden" Territorium räumte. Frieden bekam es dafür nur selten.
Drei schwere militärische Niederlagen waren nötig, die letzte im Jom-Kippur-Krieg vor genau 50 Jahren, bis endlich Bewegung in die bis dahin einheitlich auf Ablehnung Israels verschworene arabische Staatengemeinschaft kam. Ausgerechnet im damals größten und politisch mächtigsten arabischen Land Ägypten überraschte Präsident Anwar al-Sadat in einer Rede zur Parlamentseröffnung am 9. November 1977 die Weltöffentlichkeit mit der Ankündigung, er sei bereit, "bis ans Ende der Welt" und "sogar in die Knesset (das israelische Parlament) zu gehen", wenn er damit den Tod eines einzigen ägyptischen Soldaten verhindern könne.
Bis dahin galt für alle arabischen Staaten die Khartum-Resolution, benannt nach einem arabischen Gipfeltreffen in der gleichnamigen Hauptstadt Sudans, in dem sich acht arabische Länder auf die berüchtigten "Three No‘s" festlegten: NO peace with Israel (kein Frieden mit Israel), NO recognition of Israel (keine Anerkennung Israels), NO negotiations with Israel (keine Verhandlungen mit Israel).
Und ausgerechnet der "Frontstaat" Ägypten, in drei vorhergehenden Kriegen Speerspitze im Kampf gegen Israel und zudem wichtigster Verbündeter Moskaus in der Region, kündigte das Unmögliche an? Dass sich in Kairo Veränderungen anbahnten, wurde bereits deutlich, als Sadat 1973 die sowjetischen Militärberater aus dem Land geworfen hatte und im März 1976 den Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion kündigte, die sowjetische Flotte durfte fortan keine ägyptischen Militärhäfen mehr ansteuern.
Am 19. November 1977 besuchte der Ägypter tatsächlich Israel und bot der israelischen Regierung in einer Rede vor der Knesset einen "gerechten Frieden" an. Mehr als Frieden hatte Ägypten auch nicht zu bieten, im Gegenzug hielt mit der Sinaihalbinsel ein 60.000 Quadratkilometer großes ägyptisches Gebiet besetzt – also mehr als zweimal die Fläche des Landes. Ägypten wollte das Gebiet zurück, Israel wollte dafür Frieden.
Damit es zu diesem Handel kam, war eine Garantiemacht wichtig. Die USA und vor allem der damalige Präsident Jimmy Carter investierten viel Zeit und Geduld in das Zustandekommen in Friedensverhandlungen, die dann auch tatsächlich vom 5. bis 17. September 1978 auf "neutralem Boden" in Camp David im US‑Bundesstaat Maryland stattfanden. Der Ostblock und die gesamte arabische Welt liefen dagegen Sturm. Ähnlich wie heute noch aus dem Iran, von der Hamas oder der Hisbollah wurde Israel das Existenzrecht abgesprochen, ein Frieden mit Israel wurde von einem Großteil der Staaten kategorisch abgelehnt.
Der hartnäckige persönliche Einsatz von Sadat, Carter sowie dem israelischen Regierungschef Menachem Begin war das Wunder zu verdanken. Begin und Sadat erhielten dafür den Friedensnobelpreis. "Ähnliche Visionäre sehe ich heute nicht, sie müssten zudem in die Situation hineinwachsen", sagt Peter Lintl, Israel-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), "zudem wären heute auf palästinensischer Seite Ansprechpartner nötig mit Rückhalt innerhalb ihrer Gesellschaft, auch darin unterscheidet sich die Situation grundlegend."
Tragisch: Der ägyptische Präsident bezahlte seinen Brückenschlag zu Israel mit dem Leben, wurde am 6. Oktober 1981 in Kairo während einer Militärparade von den islamistischen Muslimbrüdern ermordet: Israel hielt sich dennoch an das Abkommen, räumte bis 1982 vollständig die Sinaihalbinsel – der Frieden zwischen Israel und Ägypten hält aber bis heute.
Das politische Tauwetter nach Ende des Kalten Krieges erreichte 1993 mit Verspätung auch den Nahen Osten – nachdem nicht nur Europa, sondern auch Südamerika (Chile) und Afrika (Südafrika, zuvor Namibia) Diktatoren zu Fall gebracht hatte. Die Palästinenserorganisation PLO unter ihrem Führer Jassir Arafat war in einer schwierigen Situation, weil ihr mit dem Ostblock auch die potentesten Unterstützer weggebrochen waren. Zudem bedrohte ein 1987 begonnener Aufstand der Palästinenser (Erste Intifada genannt) den Alleinvertretungsanspruch der PLO für die palästinensische Sache – Arafat stand unter Druck, endlich "Ergebnisse" seiner Führung zu liefern.
"Die Voraussetzungen damals waren sehr günstig. Schon 1988 hatte die PLO ihren Anspruch auf ganz Palästina aufgegeben, es erfolgte danach eine zaghafte Demokratisierung, zudem regierte eine linke Mehrheit in Israel. In der israelischen Bevölkerung sprach sich eine deutliche Mehrheit für das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat aus", so Peter Lintl.
"Solche Phasen der Kompromissbereitschaft, egal ob bei der Sinai-Rückgabe oder beim Oslo-Friedensprozess, sind schon öfter nach Gewalteruptionen wie eben dem Jom-Kippur-Krieg oder der Intifada entstanden", sagt der Politikwissenschaftler Stephan Stetter von der Universität der Bundeswehr in München. "Von daher soll man die Hoffnung nicht aufgeben, dass auch der derzeitige Konflikt eine neue Aufbruchsphase einleiten wird, auch wenn es derzeit dafür noch überhaupt keine Anzeichen gibt", so der Konfliktforscher.
Gescheitert ist der Oslo-Friedensprozess am Ende, "weil beide Seiten es nicht vermochten, mit vertrauensbildenden Maßnahmen einen längeren Zeitraum hin den Prozess am Leben zu halten", so Lintl, denn: "Wichtige Fragen wie die Jerusalem-Frage oder das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge waren ausgeklammert worden – so hatten die Feinde des Abkommens leichtes Spiel."
Die damals aufstrebende Hamas brachte mit einer Reihe von Selbstmordanschlägen in Israel nicht nur die verhandlungsbereite PLO in eine schwierige Lage, sondern auch die linke israelische Regierung, deren Verständigungspolitik, die in einer Zweistaatenlösung gipfeln sollte, angesichts der vielen israelischen Opfer immer weniger Israelis Verständigung entgegenbrachten.
Das erste Abkommen, "Oslo I" genannt, darin ging es um die vorübergehende Selbstverwaltung in Teilen des Westjordanlandes, was einen Meilenstein im Friedensprozess bedeutete, wurde zwar 1993 vom israelischen Parlament Knesset ratifiziert, bis heute aber nicht von den palästinensischen Vertretern (damals PLO), obwohl es deren Delegierter Mahmud Abbas (heute Chef der Autonomiebehörde) in Oslo unterschrieben hatte.
Auch Israels Radikale störten den Friedensprozess: Am 25. Februar 1994 tötete der jüdische Rechtsextremist und Anhänger der Kach-Bewegung Baruch Goldstein in Hebron 29 Palästinenser, über 150 wurden verletzt. Am 4. November 1995 tötete ein Attentäter den israelischen Ministerpräsidenten Izchak Rabin. Der ehemalige Militär galt als Garant und Wegbereiter des Oslo-Friedensprozesses. Bei den darauffolgenden Neuwahlen gewann erstmals Benjamin Netanjahu, alle Verhandlungen lagen auf Eis. Neue Anläufe unter dessen linkem Nachfolger Ehud Barak blieben erfolglos.
Ausgerechnet ein außerhalb Israels als Falke und Scharfmacher verschriener Rechtspolitiker läutete eine Phase neuer Bewegungen in Nahost ein: Ariel Scharon. Der Held des Jom-Kippur-Krieges, 1973 hatte sich der General einem Rückzugsbefehl verweigert und mit seinem nassforschen Übersetzen über den Suezkanal die ägyptische Niederlage eingeleitet, hatte 2001 die Wahlen gewonnen.
Der als "Bulldozer" verschriene Schutzpatron aller Siedler ließ 2005 einseitig alle jüdischen Siedlungen im Gazastreifen räumen. Doch wie ein böses Omen gingen Bilder palästinensischer Randalierer um die Welt, die nach der Übernahme des Gebiets nichts Wichtigeres zu tun hatten, als die von den Israelis übernommenen Gewächshäuser und Gebäude zu zerstören. Die Fatah verfügte erstmals über ein "besatzerfreies", geschlossenes Siedlungsgebiet. Selbst Ägyptens Präsident Husni Mubarak gab im November 2005 zu: "Scharon ist der einzige israelische Politiker, der mit den Palästinensern Frieden machen kann."
Doch aus der Formel "Land für Frieden" wurde nichts: Den Südlibanon, wo Israel seit 1982 einen Puffer besetzt hielt, um sich gegen den Terror zu schützen, hatte Scharons Vorgänger Ehud Barak einseitig räumen lassen – als Geste guten Willens gegenüber dem nördlichen Nachbarn. Umgehend hatten radikale, mit dem Iran verbündete Hisbollah-Milizen das Gebiet übernommen und beschießen seitdem von da aus Israel. Im 2005 geräumten Gazastreifen verdrängte zwei Jahre später die radikalislamische Hamas in einem kurzen Bürgerkrieg die Hamas. Israels Rückzug hatte die Distanz zu seinen schlimmsten Feinden verringert.

Firmengründung und Registrierung einer US Inc oder AG
"Nie gab es auf beiden Seiten des Konflikts so wenig Kompromissbereitschaft", sagt Peter Lintl von der SWP. "Einer Umfrage von Anfang des Jahres zufolge erheben 93 Prozent der Menschen jeweils einen Anspruch auf das ganze Land, so verfahren war die Situation in der Region noch nie", begründet der Politologe seinen eher pessimistischen Ausblick. "Allerdings wird in israelischen Thinktanks zunehmend diskutiert, dass Netanjahus Strategie des Containments der Palästinenser gescheitert sei und man nach einer Niederlage der Hamas wieder diplomatische Optionen aufgreifen müsse – eine Strategie, die von US-Präsident Joe Biden sehr stark unterstützt wird. Riskant dabei ist nur, dass Joe Biden in etwas mehr als einem Jahr Geschichte sein könnte – was dann?", so Lintl.
Den Politikwissenschaftler Stephan Stetter von der Universität der Bundeswehr stimmt etwas zuversichtlicher, dass es vor allem ausweglose Situationen waren, die historische Kompromisse erst ermöglicht haben. "Allerdings sehe ich den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu nicht in der Position, in der er ähnliche Spielräume hat oder überhaupt will wie seine Vorgänger Rabin oder Scharon, die ja in vielen arabischen Staaten auch als Scharfmacher galten." Stetter: "Entscheidend könnte sein, ob internationale Gesprächskanäle nach Riad, Doha, Ankara und Kairo zu einer Entspannung in der Region führen – natürlich ohne Hamas, die viel unabhängiger von ‚Einflüsterern‘ operieren als beispielsweise die ebenfalls mit dem Iran verbündeten Hisbollah oder die Hutu-Milizen im Jemen."