Saison 2015/2016: Herzrhythmusstörungen zwingen Trainer Huub Stevens im Februar 2016 zum Rücktritt bei der TSG, die zu dem Zeitpunkt als Tabellen‑17. akut abstiegsbedroht ist. Mit erst 28 Jahren wird Nagelsmann zum jüngsten Chefcoach in der Historie der Bundesliga – ein großer Vertrauensbeweis der Hoffenheimer Klubspitze, die der Landsberger in erstaunlich cooler Manier sofort rechtfertigt: Sein Debüt beginnt furios, bei Werder Bremen führt die TSG schon nach zehn Minuten durch ein Tor von Andrej Kramaric mit 1:0, am Ende steht es 1:1.
Schon im ersten Heimspiel folgt der erste dreifache Punktgewinn, ein 3:2 gegen Mainz. 13 Punkte holen die Kraichgauer aus den ersten sieben Spielen der Nagelsmann-Ära, was auch dessen Vorgänger Respekt abnötigt. "Er bringt viel Elan rein und hat die Unterstützung von allen im Verein. Das merken die Spieler auch in der Kabine: Da steht ein Team, das passt zusammen – und wenn das so ist, folgen dir die Jungs auch", sagte Stevens der Sport Bild. Unterm Strich steht der Klassenerhalt. Die Nagelsmann-Bilanz: 14 Spiele, 7 Siege, 2 Remis, 5 Niederlagen – 1,64 Punkte pro Spiel (Platz 15 in der Bundesliga)
Saison 2016/2017: Schon vor der Saison gibt sich Nagelsmann in einem Interview mit der Rhein-Neckar Zeitung ambitioniert: "So mit ein bisschen kicken in der Bundesliga und dem Verbleib kann ich nicht so viel anfangen. Das befriedigt mich nicht. Ich will richtig guten Fußball spielen lassen und Erfolg haben." Gesagt, getan: Unter Nagelsmann etabliert sich die TSG als schwer zu bespielender und taktisch extrem variabler Gegner, Nagelsmann wird zu einer Trainer-Sensation. Immer wieder gibt es spektakuläre Spiele mit TSG-Beteiligung (5:3 gegen Gladbach und Werder, 4:4 gegen Mainz), Highlight ist aber ein 1:0-Heimsieg gegen den von Carlo Ancelotti trainierten FC Bayern. Sensationell: Als Gesamt-Vierter führt Nagelsmann die TSG in die Champions-League-Qualifikation. Die Nagelsmann-Bilanz: 36 Spiele, 17 Siege, 14 Remis, 5 Niederlagen – 1,81 Punkte pro Spiel (Platz 4 in der Bundesliga, 2. Runde im DFB-Pokal)
Saison 2017/2018: Dort folgt jedoch die bittere Ernüchterung – das Erreichen der Königsklasse wird in den Play-offs wegen eines Hammerloses verpasst. Gegen Jürgen Klopp und den großen FC Liverpool gibt es in Nagelsmanns ersten Spielen auf internationalem Parkett erst ein 1:2 in Hoffenheim und dann ein 2:4 an der Mersey. Stattdessen geht es für die TSG in die Europa League, wo das Team in einer machbaren Gruppe (Braga, Basaksehir und Ludogorets) allerdings stecken bleibt. Nagelsmann erlebt seine erste echte Durststrecke, rund um die Winterpause gibt es fünf sieglose Spiele und Gerüchte über einen Wechsel Nagelsmanns zu größeren Klubs.
Doch die Hoffenheimer starten einen Schlussspurt, verlieren nur eines der letzten elf Saisonspiele und verbessern ihr Vorjahresergebnis mit dem dritten Gesamtrang in der Liga – obwohl man sieben Zähler weniger holte als in der Vorsaison. Diesmal war ihnen die Teilnahme an der Champions League nicht mehr zu nehmen. Die Nagelsmann-Bilanz: 44 Spiele, 17 Siege, 12 Remis, 15 Niederlagen – 1,43 Punkte pro Spiel (Platz 3 in der Bundesliga, 2. Runde im DFB-Pokal, Platz 4 in der EL‑Gruppenphase)
Saison 2018/2019: Die Königsklasse im Kraichgau – in Nagelsmanns letztem TSG‑Jahr wird es Realität. Dass er am Ende der Spielzeit gehen wird, steht frühzeitig fest: RB Leipzig und die TSG geben schon vor Saisonstart bekannt, dass der Coach 2019 zu den Sachsen wechseln wird. Zunächst gilt Nagelsmanns Fokus aber noch den Hoffenheimern: Die Gruppenphase mit den Gegnern Manchester City, Olympique Lyon und Schachtjor Donezk verlangt dem 31 Jahre alten Trainer alles ab, vor allem die Duelle mit den Franzosen sind Spektakelfußball – 3:3 und 2:2.
Nagelsmann hadert mit dem Aus in der Gruppenphase, in den Medien ist vielfach zu lesen, die Hoffenheimer Mannschaft sei Nagelsmanns Qualitäten nicht mehr gewachsen. "Bessermacher am Limit" titelt etwa die taz. Nagelsmann selbst gesteht nach dem Aus und dem Verpassen des Minimalziels, Gruppenplatz 3: "So geknickt war ich in meiner Trainerkarriere noch nie. Da bin ich ganz ehrlich." Er habe eine Agenda im Kopf gehabt, als er bei der TSG antrat: "Und zwei dieser Punkte, DFB-Pokal und Überwinterung in der Champions League, habe ich nicht erreicht." Die Nagelsmann-Bilanz: 42 Spiele, 14 Siege, 15 Remis, 13 Niederlagen – 1,36 Punkte pro Spiel (Platz 9 in der Bundesliga, 2. Runde im DFB-Pokal, Platz 4 in der CL‑Gruppenphase)
Saison 2019/2020: Neue Saison, neuer Verein: Nagelsmann sucht nach über drei Jahren bei der TSG, bei der er vom Co‑Trainer der U17 zum Chefcoach der Bundesliga-Mannschaft gereift war, eine neue Herausforderung beim umstrittenen RB Leipzig. Schon 382 Tage vor seinem Dienstantritt stand der Trainertransfer fest, RB überwies 5 Millionen Euro Ablöse für Nagelsmann, der klare Ziele formuliert: "Es wäre aber schön, auch mal etwas Blechernes zu holen, etwas aus Metall, Gold oder Silber. Ich will nicht nur Spiele, sondern auch Größeres gewinnen." Zunächst muss er sich aber mit Ersterem begnügen. Der Start verläuft hervorragend, RB gewinnt sechs der ersten sieben Nagelsmann-Spiele, nur gegen Bayern gibt es ein 1:1.
Auch in der Champions League läuft es für den neuen Leipzig-Trainer diesmal um einiges besser, auch wenn das Wiedersehen mit Lyon nicht nach Plan verläuft – 0:2, 2:2. RB qualifiziert sich vor den Franzosen, Benfica und Zenit aber als Gruppensieger souverän für die K.‑o.-Phase, die dann wegen der Corona-Pandemie aber ausgesetzt werden muss – nachdem sich Leipzig gegen Tottenham (1:0, 3:0) stark behauptete. Die Bundesliga beendet RB vor Geisterspielkulisse als guter Dritter, beim Champions-League-Finalturnier anderthalb Monate nach Ende der nationalen Saison in Lissabon ist erst im Halbfinale gegen das Starensemble von Paris (0:3) Schluss. Die Nagelsmann-Bilanz: 47 Spiele, 26 Siege, 14 Remis, 7 Niederlagen – 1,96 Punkte pro Spiel (Platz 3 in der Bundesliga, Achtelfinale im DFB-Pokal, Halbfinale in der Champions League)
Saison 2020/21: Nagelsmann erreicht in dieser Saison sein erstes Endspiel – und muss zusehen, wie Borussia Dortmunds Interimstrainer Edin Terzic den DFB-Pokal in den Berliner Nachthimmel reckt – Leipzig geht mit 1:4 baden, Nagelsmann verfehlt sein Ziel, "etwas Blechernes" zu gewinnen, auch bei RB. Immerhin: Hinter dem unter Hansi Flick weit enteilten FC Bayern werden die Sachsen Zweiter, es ist Nagelsmanns bis dahin beste Bundesliga-Saison.
In der Champions League wechseln sich Licht und Schatten ab, hängen bleiben eine herbe Packung bei Manchester United (0:5) und die Achtelfinal-Niederlagen gegen Jürgen Klopps FC Liverpool (0:2, 0:2), es gibt aber auch eine Heimrevanche gegen PSG (2:1). Bereits im Endspurt der Saison wird verkündet, dass Nagelsmann zur Saison 2021/2022 der neue Trainer des FC Bayern wird – als Nachfolger von Flick, der wiederum Joachim Löw als Bundestrainer beerbt. Stolze 25 Millionen Euro Ablöse muss der FCB nach Leipzig schicken. "Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass mich der Trainerposten beim FC Bayern München reizt und ich diesen Job gerne annehmen würde, wenn sich diese vielleicht einmalige Gelegenheit ergeben sollte", erklärt Nagelsmann. Die Nagelsmann-Bilanz: 48 Spiele, 28 Siege, 8 Remis, 12 Niederlagen – 1,92 Punkte pro Spiel (Platz 2 in der Bundesliga, Finale im DFB-Pokal, Achtelfinale in der Champions League)
Saison 2021/2022: Mit dem gigantischen Preisschild auf seinem Rücken verpatzt Nagelsmann mit den Bayern den Auftakt. Bei FCB-Angstgegner Mönchengladbach kommen die Münchner nicht über ein 1:1 hinaus. Bevor erste Zweifel laut werden, gewinnt Nagelsmann vier Tage später seinen ersten Titel im Herren-Bereich: den Supercup durch einen 3:1-Erfolg über den BVB. Am fünften Spieltag übernehmen seine Bayern durch einen 7:0-Heimsieg gegen Bochum erstmals die Tabellenführung, die sie bis Saisonende nicht mehr abgeben. Nagelsmann ist damit nun knapp hinter Matthias Sammer der jüngste Meistertrainer der Bundesliga-Geschichte.
In den anderen Wettbewerben läuft es dagegen nicht rund. Seine erste Krise bei den Bayern erlebt der Coach im Oktober 2021: Ohne den an Corona erkrankten Nagelsmann geht der FCB in der zweiten DFB-Pokal-Runde mit 0:5 in Gladbach baden. Ein krachendes Pokal-Aus, das genauso überraschend ist wie der K.‑o. im Champions-League-Viertelfinale gegen Underdog Villarreal. "Es war für mich nicht das leichteste erste Jahr als Bayern-München-Trainer", sagt Nagelsmann kurz nach dem Liga-Titel. "Ich bin eigentlich nie einer, der jammert. Aber es war nicht immer so ganz einfach, weil viele Dinge im Jahresverlauf passiert sind und auch einige Nackenschläge dabei waren. Für mich als Ehrgeizling nicht immer leicht zu verkraften." Die Nagelsmann-Bilanz: 47 Spiele, 33 Siege, 7 Remis, 7 Niederlagen – 2,26 Punkte pro Spiel (Platz 1 in der Bundesliga, 2. Runde im DFB-Pokal, Viertelfinale in der Champions League)
Saison 2022/2023: "Ein bisschen weniger taktische Inhalte, weniger taktischer Trainer, mehr Führung", verspricht Nagelsmann vor seiner zweiten Bayern-Saison. Trotz des Abgangs von Superstar Robert Lewandowski in der Sommerpause legt der FCB einen Topstart mit drei Siegen aus drei Spielen und 15:1 Toren hin. Die Stimmung kippt nach einem 1:1 gegen Gladbach am vierten Spieltag. Zwei weitere Remis und eine 0:1-Pleite gegen Augsburg sorgen für eine handfeste Krise, die das Team mit einem 4:0-Sieg gegen Leverkusen beendet. Der FCB wird mit Nagelsmann Herbstmeister und überwintert in allen Pokalwettbewerben.
Das peinliche Vorrunden-Aus bei der Winter-WM in Katar tut den Nationalspielern in FCB-Diensten nicht gut. Nach der Winterpause wackelt Bayern, schlittert durch ein 2:3 in Gladbach Mitte Februar in die nächste Krise. Nagelsmann vergreift sich nach dem Spiel im Ton, der Trainer beschimpft Schiedsrichter Tobias Welz und sein Team als "weichgespültes Pack". Eine Sperre gibt es nicht, dafür aber weitere Unruhe im Verein, die nach der Trennung von Torwart-Trainer Toni Tapalovic, die von Nagelsmann mit initiiert worden sein soll, im Januar aufgekommen war.
Nur zwei Monate später muss Nagelsmann nach einem 1:2 gegen Leverkusen und dem Verlust der Tabellenführung an Dortmund seinen Hut nehmen – obwohl er mit dem Team kurz zuvor im DFB-Pokal und der Champions League jeweils das Viertelfinale erreicht hatte. Eine diskussionswürdige Entscheidung.
"Nach der WM haben wir immer weniger erfolgreich und attraktiv gespielt, die starken Leistungsschwankungen haben unsere Ziele in dieser Saison infrage gestellt, aber auch über diese Saison hinaus. Deshalb haben wir jetzt reagiert", begründet Vorstandsboss Oliver Kahn die Trennung. Thomas Tuchel wird sofort als Nachfolger vorgestellt, scheitert in DFB-Pokal und Champions League in der Runde der letzten Acht, gewinnt aber in einem Herzschlagfinale die Meisterschaft. Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic müssen am Saisonende gehen. Die Nagelsmann-Bilanz (bis zur Entlassung): 37 Spiele, 27 Siege, 7 Remis, 3 Niederlagen – 2,38 Punkte pro Spiel (Platz 2 in der Bundesliga, Viertelfinale im DFB-Pokal, Viertelfinale in der Champions League)
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