Jenseits dieser Nützlichkeitserwägungen gehe es aber um mehr, sagte Russwurm. "Ich will kein Land, in dem es darauf ankommt, wo deine Großeltern geboren sind, ob du in diesem Land willkommen bist oder nicht. Das können wir uns gesellschaftlich nicht leisten, jenseits aller wirtschaftlichen Überlegungen."
Er bitte jede Wählerin und jeden Wähler zu überlegen, welches Gesellschaftsmodell Parteien vorschlügen und ob man in einem Land wohnen wolle, wo bestimmte Thesen Raum gewännen, sagte Russwurm. "Wo ein entscheidender Politiker sagt, "Inklusion an Schulen ist schlecht", und wir drehen das wieder zurück", wo jemand Familienbilder der 50er Jahre vertritt und wahrscheinlich zu viele Heimatfilme gesehen hat, diese hoch kolorierten, Dinge zurückdrehen will", erklärte Russwurm. "Wenn jemand Spaltung sät - am Ende liegt es am Nachnamen, ob denn der germanisch klingt oder zugewandert - ob jemand willkommen ist oder nicht."
Der Thüringer AfD-Partei- und Fraktionschef Björn Höcke hatte im vergangenen Jahr in einem MDR-Interview gefordert, die Bildung von "Ideologoie-Projekten" wie beispielsweise Inklusion zu befreien.
Von einem Verbot der AfD halte er allerdings nichts, sagte Russwurm. In manchen Bundesländern habe die AfD Zuspruch bei mehr als 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler. "Diese gesellschaftliche Diskussion, die kann ich nicht durch einen Verbotsakt lösen. Wir müssen uns dieser Diskussion stellen."
Die Spitze der Unionsfraktion im Bundestag hat sich ausgesprochen skeptisch zu einem Verbotsverfahren gegen die AfD positioniert. "Ich sehe da wirklich sehr, sehr große Gefahren", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten, Thorsten Frei (CDU), am Dienstag in Berlin. Man müsse das Handeln der AfD-Mitglieder minuziös dokumentieren und lückenlos herleiten, um eine Verfassungsfeindlichkeit nachzuweisen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt äußerte sich ähnlich.
"Wenn ich sehe, dass das NPD-Verbotsverfahren schon vier Jahre gedauert hat, dann will ich mir nicht ausmalen, was das in diesem Fall bedeuten würde", sagte Frei. "Schon allein diese Zeit würde natürlich der AfD helfen, weil sie sich dort in ihren Opfermythos ergehen könnte." Er wolle sich zudem nicht ausmalen, was am Ende ein Scheitern des Verbotsverfahrens bedeuten würde. Die Parteien hätten "die Aufgabe, um Wählerstimmen zu werben und dafür zu sorgen, dass radikale und extremistische Parteien möglichst keinen Zulauf finden", sagte er. "Das hat bisher nicht gut geklappt."
Auch der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Dobrindt, sagte, die Auseinandersetzung mit der AfD müsse politisch geführt werden - "juristisch wird das nicht gelingen". Allein die Dauer eines Verbotsverfahrens würde "der AfD und ihrer Geschichtserzählung eher nutzen", warnte er.
AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann hat derweilen den Gebrauch des Begriffs Remigration durch die Partei verteidigt. Der von Sprachwissenschaftlern zum Unwort des Jahres 2023 erklärte Begriff sei ein "vernünftiges Wort", sagte Baumann am Dienstag in Berlin. Die Reaktionen auf das Potsdamer Geheimtreffen mit AfD-Politikern und Rechtsextremen nannte Baumann übertrieben. Ein Parteisprecher bestätigte derweil, dass sich AfD-Chefin Alice Weidel von ihrem persönlichen Referenten Roland Hartwig trennte, der einer der Teilnehmer war.
Baumann sagte zu dem Begriff Remigration, die AfD verstehe darunter die "Rückführung von Migranten nach rechtsstaatlichen Grundsätzen". Es gehe um endgültig abgelehnte Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ländern, in denen kein Krieg mehr herrsche. Das habe mit "Massendeportation" nichts zu tun, so der AfD-Parlamentsgeschäftsführer.
Nach Recherchen des Netzwerks Correctiv hatten sich AfD-Politiker, Neonazis und Unternehmer im November 2023 in einem Hotel nahe Potsdam getroffen, um die Vertreibung von Millionen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte aus Deutschland zu besprechen. Martin Sellner, langjähriger Sprecher der rechtsextremen "Identitären Bewegung" Österreichs, stellte dort einen Plan zur "Remigration" vor.
Baumann nannte die Reaktionen in Politik und Öffentlichkeit darauf "völlig übertrieben". Es gebe "tausende" dieser sogenannten Düsseldorfer Gespräche in Deutschland. Dort werde "alles Mögliche diskutiert", das "mitnichten" etwas zu tun habe mit dem Programm der AfD oder auch der CDU, sagte Baumann mit Blick auf die Teilnahme auch von Mitgliedern der CDU und des Vereins Werteunion an dem Treffen.
Der AfD-Politiker warf insbesondere der SPD vor, angesichts ihrer Umfrageschwäche eine Kampagne zu führen, die von "Angst und Panik" gespeist sei. Zur Teilnahme der AfD-Bundestagsabgeordneten Gerrit Huy sagte Baumann: "Eine freie Abgeordnete kann überall teilnehmen." Huy sei eine "ausgewiesene Demokratin" und habe sich "mit nichts gemein gemacht".
Zu den Gründen für den Schritt Weidels, sich im Nachgang des Treffens von ihrem engen Vertrauten Hartwig zu trennen, sagte Baumann, es habe unabhängig von inhaltlichen Aspekten wohl auch "persönliche Kommunikationsprobleme" gegeben.
Im bayerischen Greding sollen unterdessen dutzende Teilnehmer eines AfD-Landesparteitags am Wochenende in einer Diskothek ausländerfeindliche Parolen skandiert haben. Der Polizei lägen "Anhaltspunkte vor, wonach es sich bei den Personen um Teilnehmer der Veranstaltung gehandelt hat", teilten die Beamten am Dienstag in Nürnberg mit. "Diese werden derzeit geprüft", hieß es weiter.
Die Ermittler sprachen von einer "größeren Personengruppe" aus etwa 30 Menschen, die in der Nacht zum Sonntag zu einem Lied ausländerfeindliche Parolen skandiert habe. Der Betreiber der Diskothek habe daraufhin auf die Gruppe eingewirkt, "so dass diese ihr Handeln einstellten". Die Polizei sei in der Nacht nicht hinzugezogen worden.
Am Sonntag meldeten Zeugen den Vorfall, ein Strafverfahren gegen Unbekannt wurde eingeleitet. Die Ermittlungen wegen des Anfangsverdachts volksverhetzender Äußerungen übernahm der Staatsschutz. Die Beamten baten um Zeugenhinweise sowie Bild- und Videomaterial. Am Samstag und Sonntag war die bayerische AfD in Greding zu einem Landesparteitag zusammengekommen.