Die multiplen Krisen wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine oder die anhaltende Migrationsbewegung erschwerten das Ganze noch. "In einer solchen Ausnahmesituation so zu agieren, halte ich für verantwortungslos." Das führe zu einem Vertrauensverlust der Menschen in die Politik.
Als Beispiel nannte Günther den ersten Entwurf des Heizungsgesetzes. Viele Menschen seien in tiefer Sorge gewesen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) habe bei dem ersten Entwurf des Gesetzes eher die eigene Partei als die Bevölkerung im Blick gehabt. "Das hat zu erheblicher Politikverdrossenheit geführt."
"Ich habe mich in den ersten anderthalb Jahren der Ampel-Koalition mit Kritik zurückgehalten", sagte Günther. "Unabhängig von den aktuellen Krisen, die das Regieren im Moment nicht leicht machen, muss eine Regierung aber irgendwann in einen normalen Arbeitsmodus kommen." Der sei derzeit nicht zu erkennen.
Die Frage nach Neuwahlen stelle sich für ihn aber nicht, sagte Günther. Die Bundesregierung müsse ihren Job machen, dafür sei sie gewählt worden. SPD, Grüne und FDP hätten sich bewusst entschieden, eine Koalition zu bilden und den Menschen versprochen, für das Land das Beste daraus zu machen. "Dafür haben sie bis zur nächsten Bundestagswahl noch knapp zwei Jahre Zeit und ich habe die Erwartung, dass sie die Jahre besser nutzen als die vergangenen zwei Jahre."
"Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) muss seine Führungsaufgaben wahrnehmen", sagte Günther. Dabei stehe eine Vertrauensfrage im Bundestag aber nicht im Fokus. "Das würde ja ausblenden, dass der Kanzler erstmal das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen muss. Die Umfragen zeigen ja deutlich, dass die Menschen aktuell wenig Vertrauen haben." Scholz müsse die Regierungspolitik besser erklären und dafür sorgen, dass die Koalitionspartner an einem Strang ziehen.
Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst dringt auf ein neues Spitzentreffen zum Thema Migration im Kanzleramt. "Wir brauchen früh im neuen Jahr einen Asylgipfel mit dem Bundeskanzler", sagte der CDU-Politiker der "Bild am Sonntag". "Die Regierungschefinnen- und Chefs aus den Ländern und dem Bund müssen im Januar, spätestens Februar, die Wirksamkeit der bisherigen Maßnahmen überprüfen und bereit sein, notfalls nachzusteuern, um irreguläre Migration zu beenden."
Beim bislang letzten Asylgipfel Anfang November hatte Scholz sich mit den Regierungschefs der 16 Länder nach monatelangem Streit über die Aufteilung der Flüchtlingskosten geeinigt und Maßnahmen zur Verringerung der irregulären Migration nach Deutschland vereinbart. Zudem wollte die Bundesregierung prüfen, ob Asylverfahren außerhalb Europas möglich sind.
Vor allem Wüst hatte damals auf Asylverfahren außerhalb Europas gedrungen. Diese Forderung bekräftigte er nun: "Ganz oben auf die Tagesordnung gehören Ansätze bereits außerhalb Europas wie Drittstaaten-Lösungen und eine verbindliche Regelung für Menschen aus Staaten mit geringer Schutz-Quote." Ganz grundsätzlich betonte der Christdemokrat, dass Deutschland "nicht die Armut auf der ganzen Welt mit unserem Asylrecht bekämpfen" könne.