"Putin muss schon sehr verzweifelt sein, wenn er auf Kim Jong Un zukommen muss", sagt der Militärexperte Nico Lange. Lange, der bis Ende 2021 Chef des Leitungsstabs im Bundesverteidigungsministerium war, verweist auf die große Zahl nordkoreanischer Soldaten und die enormen Summen, die das Land in sein Militär pumpt. "Bei einfacher Munition hat die nordkoreanische Armee große Reserven, von denen Russland profitieren kann." Das Militär in Nordkorea hat große Mengen an 152-mm-Artilleriegranaten, die mit den russischen Waffen aus Sowjetzeiten kompatibel sind.
In den vergangenen Monaten hatte Machthaber Kim mehrere neue Raketen getestet, zum Teil mit einer Reichweite von etwa 15.000 Kilometern. Pjöngjang verfügt laut Lange aber weder über ballistische Raketen in großer Zahl, noch über technologisch weit entwickelte Marschflugkörper. "Kim Jong Un setzt bei seinen Waffentests auf den Showeffekt, aber für Russlands Kriegsführung sind keine Waffen in großer Zahl dabei", so der Experte. Nordkorea sei dazu aufgrund der Sanktionen und der geringen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit schlicht nicht in der Lage.
Pjöngjang geht es bei dem Waffendeal nicht nur um die Einnahmen aus den Rüstungsverkäufen. Das Land ist seit Jahren isoliert und mit massiven Sanktionen belegt. Gemeinsame Waffendeals sollen den Anschein erwecken, Russland und Nordkorea hätten internationale Freunde und Partner, sagt Lange. "Putins Verzweiflung führt zur Aufwertung des nordkoreanischen Diktators." Kim profitiere allerdings mehr von diesen Deals als Putin.
Nordkorea soll sich im Gegenzug fortschrittliche Technologie für Satelliten, Raketen und U-Boote mit Nuklearantrieb wünschen. "Die nordkoreanischen Raketensysteme sind den russischen Modellen sehr ähnlich und Kim Jong Un hofft auf einen Technologietransfer, um seine Raketen weiterentwickeln zu können." Außerdem bemüht sich Kim laut der "New York Times" um Lebensmittelhilfe für sein verarmtes Land. Die Zusammenarbeit zwischen Russland und Nordkorea besteht schon lange: Seit mehr als drei Jahrzehnten schickt Nordkorea Arbeiterinnen und Arbeiter ins Ausland, um Geld für sein Regime zu verdienen. Unter Kim Jong Un stieg die Zahl der Arbeiterinnen und Arbeiter, die ins Ausland geschickt wurden, nach südkoreanischen Schätzungen auf Zehntausende an. Sie spülen jedes Jahr mehrere Milliarden in die nordkoreanische Staatskasse.
"Es liegt im Interesse beider Länder zusammenzuarbeiten, da jeder den anderen mit etwas versorgen kann, das knapp ist: Russland braucht Artilleriegeschosse für seinen Krieg, während Nordkorea humanitäre Hilfe braucht", meint Fjodor Tertizki von der Carnegie-Stiftung.
Erst Ende Juli war der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu nach Nordkorea gereist, um Waffendeals vorzubereiten. Im Anschluss soll es Schriftwechsel zwischen Putin und Kim gegeben haben, wie der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, unter Berufung auf US-Geheimdienste mitteilte. Russland würde "bedeutende Mengen und mehrere Typen von Munition" erhalten, "die das russische Militär in der Ukraine einsetzen will", sagte Kirby weiter.
Russland setzt in diesem Krieg auf Masse und hatte schon in der Vergangenheit immer wieder den Iran und Nordkorea um Munition und Waffen gebeten. Kim hatte auch schon mindestens einmal Artilleriemunition an Russland geliefert, wie es aus US-Geheimdiensten heißt. Sie sollen für die Söldner der russischen Wagner-Gruppe bestimmt gewesen sein. Russland setzte in der Ukraine offenbar auch nordkoreanische Raketenwerfer ein. Eine solche Waffe hatte das ukrainische Militär nach eigenen Angaben von den russischen Kräften erbeutet.
"Der Waffendeal mit Nordkorea wird keinen wesentlichen Einfluss auf den Krieg haben", ist sich Experte Lange sicher. "Heikel wird die Lage aber, wenn China Waffen an Nordkorea liefert und diese dann nach Russland weitergereicht werden." Bisher scheine China aber nicht bereit, echte Militärhilfe mit Lieferungen großer Stückzahl an Russland zu leisten. Angesichts Russlands munitionshungriger Abnutzungstaktik sieht Lange den Westen in der Verantwortung: "Es wäre mehr als peinlich, wenn wir nicht viel leistungsfähiger sind als Russland und Nordkorea zusammen."
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