Die Bahn verpasst ihr selbst gestecktes Pünktlichkeitsziel in diesem Jahr deutlich: Zu Jahresbeginn hatte sich der Konzern eine Pünktlichkeit im Fernverkehr von deutlich über 70 Prozent zum Ziel gesetzt. "Mit einer Pünktlichkeit von rund 66 Prozent in den ersten zehn Monaten ist klar, dass die angestrebte Pünktlichkeit von rund 70 Prozent für 2023 nicht mehr zu erreichen ist", teilte ein Sprecher nun mit.
Dass die Bahn vor allem im internationalen Vergleich ein Problem mit der Pünktlichkeit hat, ist seit Jahren bekannt und oft Thema hämischer Scherze. Zuletzt hat sich das Problem noch mal deutlich verschärft: Von 75,2 Prozent im Jahr 2021 fiel er auf 65,2 Prozent im vergangenen Jahr.
Ein Blick in die Schweiz, die zwar ein kleineres Netz, dafür aber deutlich strengere Pünktlichkeitsmaßstäbe hat, zeigt, dass auch die DB-Werte von 2020 noch nicht überzeugend waren. Von Januar bis Oktober 2023 waren 90,6 Prozent der SBB-Züge im Fernverkehr pünktlich - das heißt dort: sie hatten weniger als drei Minuten Verspätung.
Ein Hauptgrund für die schlechten Werte in Deutschland ist die marode Infrastruktur, auf der die Bahn zwar schon seit Jahren fährt, die aber jetzt regelrecht kollabiert. Nach Angaben des Konzerns waren im Oktober fast drei Viertel der Fernverkehrszüge auf ihrer Fahrt von mindestens einer Baustelle betroffen. Auf der für den bundesweiten Fernverkehr besonders wichtigen Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim kommt es laut DB täglich zu mindestens einer Störung.
Als "nicht mehr akzeptabel" bezeichnet Detlef Neuß vom Fahrgastverband Pro Bahn die aktuelle Situation. Gerade wenn die schlechte Leistung bei der Pünktlichkeit mit schlechter Kundeninformation gepaart werde, sei der Ärger bei den Fahrgästen verständlicherweise groß. "Auch die App ist vollkommen überfordert", sagt Neuß, der auch für seine eigene Fahrt nach Berlin und wieder zurück ins Rheinland am Wochenende mit Problemen rechnet. "Und leider Gottes muss man sagen: Kurzfristig wird sich nichts verbessern."
Während die Bahn vor allem auf die vielen Baustellen als Gründe verweist, zählt Neuß auch weitere Aspekte auf: "Aus meiner Sicht liegt es auch am Mangel an Wagen, am Mangel an Personal. Dann kommt der Verschleiß an den Strecken dazu, die vielen Langsamfahrstrecken."
Es folge ein problematischer Kreislauf: "Viele Fahrgäste sind dann verärgert und lassen das leider auch am Zugpersonal aus. Dann erhöht sich wiederum der Krankenstand", sagt Neuß. Bei der DB fielen nicht nur viele Mitarbeiter wegen Infektionskrankheiten aus, sondern aufgrund der Belastung auch wegen Burnout.
"Wir werden mit der Situation bis in die 30er Jahre leben müssen", prognostiziert Neuß. Die Politik habe in den vergangenen Jahrzehnten zu viel versäumt, "einige CSU-Verkehrsminister hatten nur die Automobil-Branche im Blick statt der Bahn". Er hoffe aber, dass die anstehenden Generalsanierungen die Bahn wieder zuverlässiger und pünktlicher machen.
Die erste dieser Generalsanierungen steht im zweiten Halbjahr 2024 auf der bereits erwähnten Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim an. Danach sollen Dutzende weitere, besonders wichtige Strecken folgen. Das Konzept der Generalsanierungen sieht vor, dass eine Strecke für mehrere Monate komplett gesperrt wird, um dann alles auf einmal zu reparieren. Auch zahlreiche Bahnhöfe entlang der Strecken sollen dabei renoviert werden. Nach einer Generalsanierung hofft die Bahn auf acht bis zehn Jahre Baufreiheit auf dem jeweiligen Streckenabschnitt.