Die Reisendenpünktlichkeit ist eine Kennziffer, die der Staatskonzern nicht regelmäßig veröffentlicht, obwohl sie aussagekräftiger ist als die monatliche Publikation der Ankünfte, die mit weniger als sechs Minuten Verspätung erreicht werden – im August waren es nur noch 63 Prozent. Bei dieser Zahl werden nämlich nicht die komplett ausgefallenen Verbindungen und die Anschlüsse, die die Fahrgäste verpasst haben, berücksichtigt.
Die Bahn kämpft seit geraumer Zeit mit schwindender Pünktlichkeit. Die zahlreichen Baustellen spielen dabei eine Rolle – die Schienenstränge wurden jahrzehntelang massiv vernachlässigt, was zur Folge hat, dass nun umso mehr saniert werden muss. Hinzukommt, dass es viele Zugausfälle wegen technischer Probleme gibt. Auch bei der Instandhaltung hapert es. Zugleich steigt die Nachfrage der Fahrgäste. Die Netze werden deshalb immer häufiger bis an die Belastungsgrenze oder darüber hinaus genutzt. Die verschiedenen Faktoren addieren sich häufig.
Aber laut Ministerium waren zwischen Januar und Juli 2023 fast zwei Drittel der Verspätungen "belastungsbedingte". Im Jahr 2015 lag dieser Wert noch bei 46 Prozent. Insbesondere sogenannte Zugfolgekonflikte treten zunehmend auf. Die Züge behindern sich gegenseitig, weil es für sie nicht genug Gleise gibt. Der Hintergrund: Die Bahn hat vor der Jahrtausendwende auf Weisung der Politik massenweise Schienenstränge abgebaut. Damit sollten die Kosten gedrückt werden. Insbesondere Überhol- und Ausweichstrecken verschwanden so.
Die Folge: "Die Reise muss planbar sein, das ist sie heute aber vielfach nicht", sagte Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn. Er fügt hinzu: "Es ist aber nicht richtig, der DB alleine die Schuld zu geben." Die deutsche Politik habe die Bahn und vor allem deren Infrastruktur vernachlässigt. "Es wurde und wird immer noch in Deutschland pro Einwohner und Jahr nur rund ein Viertel für das System Bahn ausgegeben wie in der Schweiz, wo die Bahn besser funktioniert und deutlich pünktlicher ist." Das spürten die Fahrgäste jetzt mit der großen Zahl von Verspätungen. Und: "Die zusätzlichen Baustellen, die notwendig sind, verschlechtern die Situation zusätzlich."
Ähnlich argumentiert Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag: Die Fahrgäste würden unter einer Infrastruktur leiden, die eine zunehmende Zahl an Zügen nicht mehr bewältigen kann. "Angebotssteigerungen sind aktuell nur noch begrenzt möglich." Gerade im Nah- und Personenverkehr könnten bessere Fahrpläne erst dann kommen, wenn zusätzliche Infrastruktur fertiggestellt werde. Es liege deshalb im Interesse der Fahrgäste, dass nicht nur mehr saniert, sondern auch neu gebaut werde.
Die Bahn plant zwar zahlreiche Generalsanierungen: "Jetzt wissen wir, in welcher Reihenfolge das Ganze funktionieren wird", sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) am Freitag auf einem Treffen mit der Bahnbranche. 40 hoch belastete Strecken sollen bis 2030 jeweils für rund fünf Monate komplett gesperrt und saniert werden. Knapp 40 Milliarden Euro will der Bund dafür zur Verfügung stellen. Der Neubau spielt bei all dem aber nur eine untergeordnete Rolle.
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