Und auch Bundeskanzler Olaf Scholz ging Türmer verbal an. Im Fokus: die Migrationspolitik. „Man vergisst das schnell und er vergisst das auch schnell, aber wir haben einen sozialdemokratischen Kanzler. Und er ist nicht wegen seiner persönlichen Großartigkeit oder wegen seines Charismas gewählt worden, sondern weil er das Gesicht eines sozialpolitischen Aufbruchs dieser Partei ist. Wir haben gewonnen, weil wir auf Verteilungsgerechtigkeit gesetzt haben. Dem haben wir den Überbegriff ‚Respekt‘ gegeben. Wo ist dieser Respekt? Ich bekomme davon nichts mit“, kritisierte der Juso-Vorsitzende. Scholz war nicht anwesend.
Nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts zweifelte Türmer die Regierungsfähigkeit der SPD an. „Ich habe da enorme Zweifel“, sagte er. Die Jusos würden immer diskutieren, ob sie Stachel oder Motor der SPD sein sollten, führte er aus und positionierte sich klar: „Ich bin immer für Motor. Ihr seid ein ganz kleiner Stachel im Fell des Bundeskanzlers und leider merkt er davon nicht viel – das muss mehr werden.“
Esken verteidigte die Migrationspolitik von Scholz. Das Cover des „Spiegel“ mit dem Scholz-Zitat „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ habe sie auch erschreckt, sagte sie am Samstag. „Aber wenn man das ganze Interview des Kanzlers liest, dann kann man den ganzheitlichen Ansatz der Migrationspolitik der Ampel schon erkennen. Die Sprache ist unser Problem“, sagte Esken.
Die Jusos hatten Scholz für seine Aussage zu Abschiebungen und seine Migrationspolitik scharf kritisiert. „Eine Forderung direkt aus dem Vokabular des rechten Mobs“, postete die SPD-Jugend auf X (vormals Twitter). „Ich könnte kotzen bei diesem Zitat“, schrieb Türmer.
Esken betonte, die migrationsfeindliche Stimmung sei eine große Gefahr für Deutschland. „Sie ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die unseren Wohlstand und unser Land mit aufgebaut haben.“ Nun brauche es mehr Ordnung und Humanität. „Unser Problem ist nicht die Migration, unser Problem ist die große Ungleichheit im Land“, betonte Esken.
Als Türmer Esken verabschiedete, hielten einige Jusos das „Spiegel“-Cover von Scholz hoch und skandierten: „Say it loud, say it clear, refugees are welcome here“ (Sag es laut, sag es klar, Flüchtlinge sind hier willkommen). Türmer verabschiedete Esken schließlich mit den Worten: „Es gab einige klare Botschaften, einige werden hier gerade hochgehalten, ich hoffe, du nimmst sie mit, Saskia“.
Beim Bundeskongress am Samstag nominierten die Jusos zuvor Delara Burkhardt aus Schleswig-Holstein und Manon Luther aus Niedersachsen als Spitzenkandidatinnen für die Europawahl. Die beiden Politikerinnen erhielten die nötige Mehrheit. Das neue Europäische Parlament wird im Juni 2024 gewählt.
Die 31-jährige Burkhardt ist bereits Abgeordnete in Brüssel und will sich weiter für Veränderungen einsetzen. „Es kann nicht sein, die Schleswig-Holsteiner kennen dieses Beispiel, dass jede Fischbrötchen-Bude in Europa mehr Steuern zahlt als Riesenkonzerne es tun“, sagte sie. Das sei ungerecht und unsolidarisch.
Manon Luther aus Braunschweig möchte neu ins EU-Parlament einziehen. „Wer echte Haltung gegenüber Antidemokraten will, der muss im nächsten Jahr das antifaschistische Original wählen“, sagte die 27-Jährige. Das sei die Sozialdemokratie. Mit der Nominierung verbinden die Jusos die Forderung an die Europaliste der SPD, den Wiedereinzug Burkhardts und den Einzug Luthers abzusichern.