Nancy Faeser: "Was wir da sehen mussten, ist mit unserem Verständnis von Demokratie nicht vereinbar"
Zunächst ist da das besagte IZH. Das Zentrum gilt als verlängerter Arm des iranischen Regimes, das der Hamas zu ihrer brutalen Attacke mit 1200 Toten, unzähligen Verletzten und über 200 Geiseln gratuliert und diese als "Wendepunkt in der Fortsetzung des bewaffneten Widerstands" bezeichnet hatte. Ferner gehen die Sicherheitsbehörden dem Verdacht nach, dass der Verein Aktivitäten der proiranischen Terrororganisation Hisbollah aus dem Libanon unterstützt. Das Ermittlungsverfahren könnte in einem Vereinsverbot münden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: "Gerade jetzt, in einer Zeit, in der sich viele Jüdinnen und Juden besonders bedroht fühlen, gilt: Wir dulden generell keine islamistische Propaganda und keine antisemitische und israelfeindliche Hetze."
Die Vorwürfe gegen das Zentrum sind allerdings nicht neu. Das IZH wird bereits seit längerem vom Verfassungsschutz beobachtet. Claudia Dantschke, Leiterin der Berliner De-Radikalisierungsstelle "Grüner Vogel" und eine der führenden Islamismus-Expertinnen in Deutschland, sagte: "Die Razzia war mehr als überfällig. Denn die Vorwürfe sind steinalt." Sie erinnerte daran, dass der Hamburger Senat bereits 2012 einen Staatsvertrag mit muslimischen Verbänden der Hansestadt geschlossen hatte – unter Einbeziehung des IZH. Bürgermeister war damals der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Das sei "ein Unding", sagte Dantschke und beklagte: "Auf Kritiker wurde dabei überhaupt nicht gehört." Nun müsse der Senat seine Politik gegenüber den muslimischen Verbänden "völlig neu aufstellen".
Neu ist, dass der Islamismus seit dem 7. Oktober wieder starken Aufwind spürt. Nach dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2011 war die Szene auf dem Vormarsch gewesen. Von überall her zogen Sympathisanten mit und ohne muslimischen Migrationshintergrund ins Kriegsgebiet. Sie fühlten sich angezogen durch den "Islamischen Staat" (IS), der in Syrien und dem Irak kraftstrotzend ein Kalifat ausrief. Parallel dazu wuchs bei uns die Zahl der islamistischen Gefährder, also jener Aktivisten, denen Terroranschläge zugetraut werden – auf 750 im Jahr 2018. Nach der Niederlage des IS gegen die Truppen des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad und seiner russischen Helfershelfer ging die Zahl wieder zurück – auf rund 500 im vorigen Jahr.
Derzeit sind nach Angaben des Bundeskriminalamtes 487 Islamisten als Gefährder eingestuft, gegenüber 505 zu Jahresbeginn. Von diesen seien 90 in Deutschland inhaftiert, 216 auf freiem Fuß und 181 im Ausland, heißt es.
Der Krieg der israelischen Armee gegen die Hamas scheint nun eine Wende zum Schlechteren einzuleiten. Dantschke sagt: "Der Nahostkonflikt wirkt wie ein Katalysator, vor allem durch die Bilder. Sie wirken sehr emotionalisierend. Im Moment kriechen alle radikalen Prediger wieder aus ihren Löchern hervor, viele auch auf TikTok."
Peter Neumann, Terrorismusexperte am King‘s College in London, pflichtet bei. "Die islamistische Szene hat jahrelang stagniert und war fast eingeschlafen", sagte er. "Jetzt sehen wir wieder deutlich mehr Aktivität. Zu den bekannten Mitgliedern der Szene kommen neue hinzu. Denn der Nahostkonflikt ist aus islamistischer Sicht der zentrale Konflikt. Hier kämpfen nicht Muslime gegen Muslime, sondern Muslime gegen Juden." Und weil der Nahostkrieg noch länger dauern könne, könne auch hierzulande "ein neuer Zyklus beginnen. Denn es sind genug alte Islamisten da, um die Ideologie an Junge weiterzugeben."
Neumann warnt: "Die Gefahr von Anschlägen ist auch in Deutschland momentan akut – von Einzeltätern oder am Rande von Demonstrationen, die außer Kontrolle geraten. Die Frage ist nicht, ob etwas passiert, sondern wann." Das wiederum könne zu weiterer gesellschaftlicher Polarisierung führen. "Die Debatten dürften dann noch schärfer werden", so der Terrorexperte. "Deshalb ist es ganz wichtig, dass die Sicherheitsbehörden alles tun, um Anschläge zu verhindern."
Die Bundesinnenministerin hatte bereits in der vorigen Woche Betätigungsverbote für die Hamas und das einschlägige Netzwerk Samidoun verhängt und den deutschen Ableger von Samidoun aufgelöst. Bei der Gelegenheit hatte sie erklärt: "Wir arbeiten schon an weiteren Verboten" – und da vermutlich an das IZH und die Razzia vom Donnerstag gedacht. Diese dürfte jedenfalls nicht der letzte Akt im neuen Kampf des Staates gegen den Islamismus gewesen sein.