Auf Telegram legte der Vizechef im nationalen russischen Sicherheitsrat nach: Er warnte Kiew vor Versuchen, mit westlichen Raketen größerer Reichweite Raketenstartrampen auf russischem Gebiet zu beschießen. Dies sei "keine Selbstverteidigung, sondern eine direkte und offensichtliche Begründung für den Einsatz von Atomwaffen gegen ein solches Land", schrieb Medwedew.
Medwedew sagte, dass einige ukrainische Militärkommandanten erwägen, Raketenabschussstandorte in Russland mit vom Westen gelieferten Langstreckenraketen anzugreifen. Er nannte weder die Namen der Kommandeure noch gab er weitere Einzelheiten des angeblichen Plans preis, und es gab keine unmittelbare Reaktion der Ukraine auf seine Drohung. Medwedews auf Telegram gepostete Kommentare lauten: "Was bedeutet das? Das bedeutet nur eines: Sie riskieren, auf die Maßnahmen von Absatz 19 der Grundlagen der russischen Staatspolitik im Bereich der nuklearen Abschreckung zu stoßen. Das sollte man sich merken."
Absatz 19 der russischen Nukleardoktrin 2020 legt die Bedingungen fest, unter denen ein russischer Präsident den Einsatz einer Atomwaffe in Betracht ziehen würde: im Großen und Ganzen als Reaktion auf einen Angriff mit Atomwaffen oder anderen Massenvernichtungswaffen oder auf den Einsatz konventioneller Waffen gegen Russland „wann die Existenz des Staates ist in Gefahr." Medwedew hatte ausdrücklich Punkt "g" von Absatz 19 erwähnt, der sich mit der nuklearen Reaktion auf einen Angriff mit konventionellen Waffen befasst.
Zuvor hatte der ukrainische Luftwaffensprecher Jurij Ihnat erklärt, die Ukraine habe nicht die Ressourcen, um die Tausenden Raketen vom Typ S-300 in Russlands Waffenarsenal abzufangen. Es sei effektiver, die Abschussanlagen dieser Raketen mit Präzisionswaffen auszuschalten. Russland beschießt die Ukraine regelmäßig mit S-300.
Medwedew gilt seit Ausbruch des russischen Angriffskriegs als Hardliner und Scharfmacher. Er hat schon mehrfach mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht. Es gibt allerdings keine konkreten Hinweise darauf, dass Russland das derzeit tatsächlich vorhaben könnte. Präsident Wladimir Putin hat vor mehr als 22 Monaten die Invasion des Nachbarlands befohlen. Trotz mehrerer Rückschläge hält Russland einschließlich der bereits 2014 annektierten Halbinsel Krim nach wie vor rund ein Fünftel der Ukraine besetzt und sieht sich derzeit auf dem Siegerpfad.
Auch nach Ansicht von Experten hat Russland auf dem Schlachtfeld zuletzt die Initiative zurückgewonnen. Das liegt demnach auch daran, dass die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine stocken. Schätzungen zufolge verschießt Russland derzeit allein an Artilleriemunition etwa fünfmal soviel wie die Ukraine. Auch bei der Anzahl an Raketen und Drohnen besitzt Moskau ein großes Übergewicht.
Ein Waffenstillstand im russisch-ukrainischen Krieg würde nicht zu einem politischen Dialog führen und nur Russland nützen, sagte der ukrainische Präsident Selenskyj unterdessen am Donnerstag bei einem Besuch in Estland. Selenskyj trifft sich derzeit im Rahmen einer umfassenderen Reise durch die baltische Region mit den Staats- und Regierungschefs des Landes.
Selenskyj sagte, dass ein Waffenstillstand für Russland von Vorteil wäre, da er es Moskau ermöglichen würde, seine Munitionslieferungen zu erhöhen. Russland verhandelte über den Kauf von Raketen aus dem Iran und die russischen Streitkräfte hätten mehr als eine Million Schuss Munition aus Nordkorea erhalten, fügte er hinzu. Er behauptete auch, dass Russland ein Rüstungsdefizit habe und dass ein Waffenstillstand dazu beitragen würde, dieses Defizit aufzuholen.