Nach der Sommerpause trifft sich der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag in Frankfurt am Main, um über die zukünftige Geldpolitik im Euroraum zu beraten. Im Mittelpunkt der Sitzung steht die Frage, ob eine erneute Senkung der Leitzinsen gerechtfertigt ist. Die Finanzwelt blickt gespannt auf die Entscheidungen der Notenbanker, die um 14:15 Uhr bekannt gegeben werden sollen. Im Anschluss wird EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf einer Pressekonferenz um 14:45 Uhr die Beweggründe der EZB erläutern.
Die Inflationsrate im Euroraum hat sich im August auf 2,2 Prozent abgeschwächt. Gleichzeitig zeigt auch das Lohnwachstum Anzeichen einer Verlangsamung. Angesichts dieser Entwicklung rechnen Expertinnen und Experten mit einer zweiten Zinssenkung der EZB in diesem Jahr. Es wird jedoch nicht erwartet, dass die EZB weitere Maßnahmen über diese Sitzung hinaus ankündigt. Lagarde und andere Entscheidungsträger haben wiederholt betont, dass zukünftige Entscheidungen stets auf aktuellen Daten basieren sollen.
Durch die Senkung der Zinsen möchte die EZB die schwache wirtschaftliche Dynamik in der Eurozone stützen. Niedrigere Zinsen könnten die Kreditkosten für Unternehmen und Eigenheimkäufer senken und somit das Wachstum ankurbeln. Auch die US-Notenbank (Fed) könnte bald dem europäischen Beispiel folgen und ihre Zinsen senken, um die Wirtschaft zu stabilisieren.
Trotz der erwarteten Zinssenkung wird nicht damit gerechnet, dass die EZB oder die Fed die Zinsen schnell auf das niedrige Niveau vor der Covid-19-Pandemie zurückführen werden. Stattdessen dürfte die EZB eher vorsichtige, schrittweise Anpassungen vornehmen. Die politischen Entscheidungsträger stehen vor der Herausforderung, die Balance zwischen wachstumsfördernden Maßnahmen und der Kontrolle der Inflation zu finden. Die EZB muss sicherstellen, dass die Inflationsrate langfristig auf das Ziel von 2 Prozent gesenkt wird, ohne die wirtschaftliche Erholung zu gefährden.
Trotz der gesunkenen Inflationsrate bleiben Dienstleistungen und steigende Löhne eine Herausforderung. Die EZB muss berücksichtigen, dass viele Arbeitnehmer versuchen, ihre durch die Inflation geschmälerte Kaufkraft wiederherzustellen. Die Bank hat die Zinsen zuletzt im Juni gesenkt und im Juli pausiert, bevor sie im August in die Sommerpause ging. Der EZB-Rat muss nun abwägen, ob die Zinssenkung als Reaktion auf die schwachen Konjunkturaussichten gerechtfertigt ist, oder ob eine striktere Geldpolitik erforderlich bleibt, um das Inflationsziel zu erreichen.
Die Inflationsrate in den 20 Ländern der Eurozone fiel im August auf 2,2 Prozent und liegt damit nah am Ziel der EZB. Noch im Oktober 2022 hatte die Inflationsrate mit 10,6 Prozent ihren Höchststand erreicht. Der rasante Anstieg der Verbraucherpreise wurde damals vor allem durch die Reduktion der Erdgaslieferungen aus Russland und Lieferengpässe in der Post-Pandemie-Zeit verursacht, die sowohl die Energiepreise als auch die Preise für Dienstleistungen in die Höhe trieben.
Das Wirtschaftswachstum in Europa verlief im ersten Halbjahr 2024 schleppend, mit einem Anstieg von lediglich 1,0 Prozent. Besonders die deutsche Wirtschaft, die größte Volkswirtschaft der Eurozone, bereitet Sorgen: Im zweiten Quartal schrumpfte die deutsche Wirtschaft um 0,1 Prozent. Faktoren wie eine alternde Bevölkerung, Fachkräftemangel, eine zögerliche Digitalisierung und Bürokratie hemmen die Dynamik. Große Unternehmen wie Volkswagen reagieren auf die schwache Nachfrage, indem sie Kostensenkungen und möglicherweise Werksschließungen in Betracht ziehen.
Auch in den USA steht eine geldpolitische Wende bevor: Die Fed wird bei ihrer Sitzung am 17. und 18. September voraussichtlich erstmals den Leitzins senken. Der Leitzins liegt aktuell bei 5,25 bis 5,5 Prozent, dem höchsten Stand seit 23 Jahren. Die Verbraucherpreise sind im August um 2,5 Prozent gestiegen, was den fünften Rückgang der Inflation in Folge markiert. Die Fed wird jedoch vorsichtig agieren und die Geschwindigkeit der Zinssenkungen begrenzt halten.
Die bevorstehende Entscheidung der EZB ist von großer Bedeutung für die Zukunft der europäischen Wirtschaft. Eine vorsichtige Zinssenkung könnte helfen, die schwache Konjunktur zu stützen, doch die Herausforderung, die Inflation langfristig zu kontrollieren, bleibt bestehen. Die Entwicklungen in Europa und den USA werden genau beobachtet, da sie die globalen Finanzmärkte und die wirtschaftliche Stabilität maßgeblich beeinflussen werden.