Die langfristig größte Sprengkraft für die Koalition dürfte die Frage sein, ob die Schuldenbremse 2024 noch einmal ausgesetzt wird. Scholz hatte am Mittwoch sowohl im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 als auch mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine von der Möglichkeit gesprochen, einen "Überschreitensbeschluss" nach Artikel 115 Grundgesetz zu fassen. Die Verfassung sehe ausdrücklich vor, dass die Kreditobergrenzen zur Bewältigung von Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notlagen angehoben werden könnten. Für das nächste Jahr gehe es um einen Betrag von 2,7 Milliarden Euro für das Ahrtal, für den die Ampel diesen Beschluss vorsehen wolle.
Scholz sprach von "wir". Und ergänzte für den Fall zusätzlich nötiger Hilfe für die Ukraine: "Um vorbereitet zu sein, haben wir bereits miteinander vereinbart, in einer solchen Lage (…) dem Bundestag einen Überschreitensbeschluss vorzuschlagen." Nur erklärte Lindner danach in der ARD, es bestehe keine Absicht, "eine Ausnahme von der Schuldenbremse vorzuschlagen".
Der Finanzexperte der FDP-Fraktion, Frank Schäffler, sagte: "Klar ist: Die Ahrtalkatastrophe lässt einen erneuten Notlagenbeschluss für 2024 nicht zu." In der FDP heißt es, Parteichef Lindner habe sich durchgesetzt. Aus der SPD verlautet, klarer als Scholz könne man nicht sagen, dass Ahrtal und Ukraine die Hebel für ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse seien. Und Spitzenleute der Grünen zeigten sich alarmiert, dass die Verabredungen derart unterschiedlich interpretiert werden. "Es ist noch immer dünnes Eis, auf dem wir uns bewegen", sagt ein führender Grünen-Politiker. Er meinte damit die Regierung sogar als Ganzes.
Der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung soll 2024 um weitere 600 Millionen Euro gekürzt werden – insgesamt macht die Senkung dann 1,2 Milliarden Euro aus. Als Ausgleich wird die Rentenversicherung ihre Rücklagen schneller abbauen. Der Beitragssatz, der von Arbeitgebern und ‑nehmern bezahlt wird, dürfte daher in Zukunft schneller ansteigen.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagt, die Kürzung habe "kurz- und mittelfristig keine Auswirkungen auf die Beitragssatzentwicklung". Rechtlich festgelegt ist, dass er bis 2025 nicht mehr als 20 Prozent betragen darf. Danach sind Beitragserhöhungen aber durchaus möglich, wenn die Rücklagen stark aufgebraucht werden. Für Menschen, die bereits in Rente sind, haben die Kürzungen keine Auswirkungen, da die Regierung Rentenkürzungen ausschließt.
Auch beim Bürgergeld soll gespart werden. Vorgesehen ist, dass "Totalverweigerer" stärker als bisher sanktioniert werden. Im Gespräch ist, dass der Regelsatz über 30 Prozent hinaus gekürzt werden soll. Ab wann ein Empfänger als Totalverweigerer gilt, muss allerdings noch definiert werden. Die FDP-Bundestagsfraktion will darüber hinaus verschärfte Sanktionen für Menschen einführen, die mutwillig ihren Job kündigen, um Sozialleistungen zu erhalten.
Die geplante Abschaffung der Steuerbegünstigungen für Agrardiesel gilt nicht für Biodiesel. Viele Landwirte sehen sich als "Bauernopfer". Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hatte sich auch empört gezeigt. Bauern verweisen darauf, dass in anderen europäischen Ländern Agrardiesel weiterhin steuerlich begünstigt sei. Alternativen zum Einsatz von Dieselschleppern und -maschinen gebe es nicht.
Man könne nicht auf Elektroantriebe umsteigen. Die Grünen zeigten sich mit dem geschnürten Paket insgesamt zufrieden. Allerdings waren nicht alle über alles happy. Wie beim Agrardiesel hätten die Grünen bei Kürzungen der Förderung der Elektromobilität und der Solarindustrie einen Preis dafür zahlen müssen, dass die Ausgaben aus dem Klima- und Transformationsfonds im Kern nicht angetastet wurden.
"Die Bundesregierung sollte weiter vorsichtig sein, die Krise ist noch nicht vorbei", sagt die Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae. Zwar seien die Preise an den Energiemärkten zuletzt gesunken, lägen aber noch immer deutlich über dem Vorkrisenniveau. "In dieser Situation wäre es äußerst wichtig gewesen, den Kunden Konstanz und Zuverlässigkeit zu signalisieren. Stattdessen werden Haushalte, Gewerbe und Industrie im kommenden Jahr nun zusätzlich belastet."
Wenn der Staat angekündigte Entlastungen wie den Zuschuss zu den Netzentgelten streiche, werde sich das auch auf die Verbraucherinnen und Verbraucher auswirken. Sie fordert, dass die Bundesregierung zur Entlastung nun rasch das bereits im Koalitionsvertrag angekündigte Klimageld einführt. "Finanziert aus der CO₂-Bepreisung würden damit alle Bürger entlastet."
SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch argumentiert dagegen. "Der Koalitionsvertrag gilt. Allerdings ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts der finanzielle Spielraum aus den bekannten Gründen stark eingeengt", sagt er. Ursprünglich sei geplant gewesen, das Klimageld aus den Einnahmen der CO₂-Bepreisung zu finanzieren.
"Diese Einnahmen müssen nun aber auch fehlende Mittel für Förderprogramme und weitere Maßnahmen ersetzen." Es wäre falsch, den CO₂-Preis besonders stark steigen zu lassen, "nur um damit ein Klimageld finanzieren zu können". Ein Klimageld könne die mit einem zu hohen CO₂-Preis verbundenen Kostensteigerungen im Bereich der Mobilität und des Heizens für breite Bevölkerungsschichten nicht auffangen."
Die "Südwest Presse" kommentiert zum Haushalts-Kompromiss: "Die deutliche Anhebung des CO2-Preises pro Tonne um insgesamt 15 Euro wirkt de facto wie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, und die belastet untere Einkommensschichten bekanntlich proportional deutlich stärker, weil große Teile des Geldes in den Konsum lebensnotwendiger Waren fließen. Die Abgabe verteuert nämlich nicht nur Gas, Öl, Benzin und Diesel, sondern im Endeffekt auch alle anderen Produkte. Der von der Koalition versprochene soziale Ausgleich durch das Klimageld fällt hingegen erst mal aus. Finanzminister Christian Lindner (FDP) weist darauf hin, dass man das Regierungshandeln insgesamt sehen müsse und die bereits vereinbarte Senkung der Einkommensteuer viele Arbeitnehmer deutlich entlasten wird. Aber: Wer keine Steuern zahlt, weil er nur wenig verdient, wird auch nicht entlastet."
Die "Nürnberger Nachrichten" schreibt zu den Einsparplänen der Ampel: "Klimaschutz kostet Geld, das war immer klar. Es ist aber enorm wichtig, die Belastungen gerecht zu verteilen. Und da haben die Sparpläne Schlagseite, weil die Ampel auf ein bereits beschlossenes Element verzichtet: das Klimageld. Die Mehreinnahmen aus der CO2-Bepreisung sollten den Bürgern teils zurückgegeben werden - in gleicher Höhe. Was bedeutet: Geringverdiener, die zudem weniger CO2 emittieren als Wohlhabende, profitieren mehr; die entstehenden Härten werden abgefedert. Zu Recht mahnt etwa die Nürnberger Wirtschaftsweise Veronika Grimm an, dass dieses Instrument nun zum Zuge kommen muss. Nachbessern, Ampel!"