Bundeskanzler Olaf Scholz dankte den Zehntausenden, die seit Tagen vielerorts gegen rechts demonstrieren. Sie gingen "gegen Rassismus, Hetze und für unsere freiheitliche Demokratie" auf die Straße, schrieb der SPD-Politiker auf X, früher Twitter. "Das macht Mut und zeigt: Wir Demokratinnen und Demokraten sind viele - viel mehr als diejenigen, die spalten wollen."
Nach Recherchen des Netzwerks Correctiv hatten sich AfD-Politiker, Neonazis und Unternehmer im November 2023 in einem Hotel nahe Potsdam getroffen, um die Vertreibung von Millionen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte aus Deutschland zu besprechen. An dem Treffen namen neben rechten Aktivisten auch Politiker der AfD und der CDU teil. Der Verein Werteunion bestätigte am Mittwoch erstmals offiziell, dass auch zwei seiner Mitglieder dabei waren. Martin Sellner, langjähriger Sprecher der rechtsextremen "Identitären Bewegung" Österreichs, stellte dort einen Plan zur "Remigration" vor.
"Die nunmehr bestätigte Teilnahme von Mitgliedern der Werteunion an dem rechtsextremen Treffen in Potsdam zeigt die Gefahr und die Erfolge rechtsextremer Strategien: Längst wirken auch Politikerinnen und Politiker aus der vermeintlichen Mitte des politischen Spektrums an der Vernetzung mit", erklärten die Grünen-Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic und Konstantin von Notz.
AfD-Chefin Weidel hatte sich nach dem ersten Bericht von ihrem Mitarbeiter Roland Hartwig getrennt, der beim Potsdamer Treffen war. Im übrigen bezeichnet die AfD die Veranstaltung aber als "privat" und kritisiert Correctiv. Ähnlich äußert sich die Werteunion über die Teilnahme ihrer beiden Mitglieder: Die beiden Frauen "hielten sich dort als eingeladene Privatgäste" auf, hieß es in einer Mitteilung.
Doch war das Treffen nach Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz nicht das erste seiner Art: Der Vizepräsident des Bundesamtes, Sinan Selen, sagte in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Bundestages nach Angaben von Teilnehmern, es habe bereits vier Vernetzungstreffen dieser Art gegeben, bei denen Politiker mit Akteuren der sogenannten Neuen Rechten zusammenkamen.
Die Berliner AfD-Vorsitzende Kristin Brinker bestätigte am Mittwoch ihre Teilnahme an einem Treffen mit radikalen Rechten in der Wohnung des früheren CDU-Finanzsenators Peter Kurth im Sommer 2023. Auch dort war Brinker zufolge Martin Sellner - zu ihrer Überraschung, wie Brinker auf Anfrage mitteilte. Der AfD-Europapolitiker Maximilian Krah habe dort sein Buch "Politik von rechts" vorgestellt.
AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann hatte den Gebrauch des Begriffs Remigration durch die Partei verteidigt. Der von Sprachwissenschaftlern zum Unwort des Jahres 2023 erklärte Begriff sei ein "vernünftiges Wort", sagte Baumann am Dienstag in Berlin. Die Reaktionen auf das Potsdamer Geheimtreffen mit AfD-Politikern und Rechtsextremen nannte Baumann übertrieben.
Infolge der Correctiv-Recherche nahm auch die Debatte über ein mögliches AfD-Verbot wieder Fahrt auf. Habeck sagte dem "Stern", über ein Verbot entscheide allein das Bundesverfassungsgericht. Die Hürden seien zu Recht sehr hoch, und der Schaden durch ein gescheitertes Verfahren wäre massiv. "Daher müsste alles absolut gerichtsfest sein. Das muss man sehr genau bedenken." So oder so müssten die demokratischen Parteien die AfD politisch schlagen. Die AfD liegt in Umfragen bundesweit bei über 20 Prozent, in Sachsen und Thüringen sogar über 30 Prozent.
Angesichts des Erstarkens der AfD wird über die Grundrechte des Thüringer Landeschef Björn Höcke diskutiert. Es gibt eine Unterschriftensammlung, um einen Antrag auf Entzug bestimmter Grundrechte voranzubringen. Den Thüringer AfD-Landesverband stuft der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem ein. Bis Mittwochnachmittag verzeichnete eine Unterschriftensammlung knapp 1,3 Millionen Unterschriften. Höcke hatte im vergangenen Jahr in einem MDR-Interview gefordert, die Bildung von "Ideologoie-Projekten" wie beispielsweise Inklusion zu befreien.
Die Linke brachte eine weitere Forderung auf. "Ein erster Schritt wäre ein Verbot der Jugendorganisation der AfD", sagte die stellvertretende Parteivorsitzende Katina Schubert der Deutschen Presse-Agentur. "Ein Verbot der JA wäre deutlich einfacher und schneller möglich, da sie nicht durch einen Parteienstatus geschützt ist. Ein Verbot wäre hier durch einen einfachen Ministerialerlass möglich."
CDU-Chef Friedrich Merz hat vor der Einleitung eines Parteiverbotsverfahren gegen die AfD gewarnt. Dieses werde Jahre dauern und die AfD nur "in ihrer Märtyrerrolle" bestärken, sagte Merz am Samstag zum Abschluss einer Klausurtagung des Bundesvorstands in Heidelberg. "Davon halte ich wenig." Er werbe hingegen dafür, "mit aller Konsequenz auch den politischen Meinungskampf gegen die AfD" fortzusetzen und die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihr zu suchen.
"Wir müssen die AfD mit politischen Mitteln und nicht vor Gericht bekämpfen", sagte CDU-Chef Friedrich Merz der "Rhein-Neckar-Zeitung". Parteiverbote blieben zwar "immer eine Ultima Ratio", sagte Merz. Er verwies aber auch auf historische Erfahrungen mit ihnen. So sei die KPD in den 1950er Jahren verboten worden. "Wenig später ist die DKP dann gegründet worden - teilweise von denselben Leuten."