In einem überraschenden Schritt hat der französische Präsident Emmanuel Macron Michel Barnier, den ehemaligen Brexit-Unterhändler der EU, zum neuen Premierminister ernannt. Die Entscheidung folgt auf die vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni, die Frankreich in eine politische Stasis stürzten. Macron betonte, dass Barnier die Aufgabe erhalten habe, eine "einheitliche Regierung im Dienste des Landes" zu bilden, um der anhaltenden politischen Blockade entgegenzuwirken.
Macron schockierte Frankreich mit der Ankündigung vorgezogener Wahlen, die zu einer Pattsituation im Parlament führten. Die Linkskoalition wurde zur stärksten politischen Kraft im Land, konnte jedoch nicht genug Sitze gewinnen, um die benötigte absolute Mehrheit von 289 Sitzen in der Nationalversammlung zu erreichen. Neben der Linkskoalition dominieren die zentristische Fraktion Macrons und die extreme Rechte das Parlament. Barniers traditionelle Rechtspartei erreichte den vierten Platz und verfügt nun über 47 Sitze.
Barnier ersetzt Gabriel Attal, der nach den Neuwahlen am 16. Juli zurücktrat, jedoch von Macron übergangsweise im Amt blieb. Attal trat unter dem Druck der politischen Lage zurück, die eine effektive Regierungsführung erschwerte.
Die Ernennung Barniers hat bereits Kontroversen ausgelöst. Marine Le Pen, Vorsitzende der rechtsextremen Partei Rassemblement National, erklärte, dass die Unterstützung für Barnier von seinem politischen Programm abhänge. Oliver Faure, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, bezeichnete die Ernennung als "Verleugnung der Demokratie" und warnte vor einer möglichen "Regimekrise". Faure, dessen Linkskoalition bei der Wahl die meisten Sitze errang, sieht in der Wahl eines Premierministers aus der viertplatzierten Partei eine gefährliche politische Entwicklung.
Michel Barnier, der in der französischen Politik fast 50 Jahre tätig war, ist bekannt als zentristischer, liberal gesinnter Neo-Gaullist, der sich der europäischen Sache verschrieben hat. Allerdings sorgte er 2021 für Aufsehen, als er nach rechts rückte und eine härtere Haltung zur Einwanderung und Sicherheit einnahm. Dieser Wandel war Teil seines gescheiterten Versuchs, 2022 Präsidentschaftskandidat der Rechten gegen Macron zu werden. Barnier kritisierte damals die unregulierte Einwanderung und forderte ein Moratorium für nichteuropäische Einwanderer sowie eine Rückgewinnung der rechtlichen Souveränität gegenüber den EU-Gerichten.
Mit 73 Jahren ist Barnier der älteste Premierminister in der modernen französischen Geschichte. Diese Woche wurde sein Alter von Julien Odoul, einem Abgeordneten von Le Pens Partei, kritisiert. Odoul bezeichnete Barnier als "französischen Joe Biden", der häufig seine Ansichten ändere und als "Opportunist" ohne "Rückgrat" gelte.
Barnier stellt sich seit jeher als verlässlicher Elder Statesman dar – ein Bergsteiger und Wanderer aus den Alpen, der eine Karriere in der Kommunalpolitik gemacht hat und gerne in alten Wäldern spazieren geht. Seit seinem ersten Wahlsieg als Gemeinderat in Savoyen im Alter von 22 Jahren hat er jede Direktwahl, bei der er angetreten ist, gewonnen. Seine Karriere umfasst vier Ministerposten und zwei Amtszeiten als EU-Kommissar. Als ehemaliger Umweltminister und Mitorganisator der Olympischen Winterspiele 1992 wird er von seinen Anhängern als erfahrener Politiker geschätzt.
Mit seiner Ernennung hofft Macron, die politische Blockade zu überwinden und Frankreich in ruhigere Gewässer zu führen, während Barnier die Herausforderung annimmt, in einer gespaltenen politischen Landschaft zu navigieren.
Quellen: AFP, BBC News, Reuters, The Guardian