Im Rampenlicht steht nun vor allem einer: Murat Kurum. Er war von 2018 bis 2023 Minister für Umwelt, Stadtplanung und Klimawandel. Bekannt wurde er vor allem durch seinen Einsatz nach den verheerenden Erdbeben vom Februar 2023 in der Südosttürkei. Kurum leitete damals persönlich den Bau von Notunterkünften. Jetzt soll der 47-Jährige in Istanbul als Bürgermeisterkandidat antreten und die Bosporusmetropole wieder unter die Kontrolle der Erdogan-Partei AKP bringen.
Noch sitzt Ekrem Imamoglu im Rathaus am Istanbuler Atatürk Boulevard. Der Betriebswirt und Bauunternehmer hatte die Kommunalwahl vom März 2019 in Istanbul mit einem Vorsprung von 13.000 Stimmen für die Oppositionspartei CHP gewonnen. Erdogan ließ die Wahl anfechten. Auf Druck des Staatschefs ordneten die Wahlkommission eine Wiederholung der Abstimmung an. Imamoglu gewann erneut, diesmal sogar mit 775.000 Stimmen Vorsprung.
Istanbul war nicht die einzige Großstadt, die 2019 an die Opposition fiel. Auch die Rathäuser in Ankara, Antalya, Adana, Artvin und Bolu musste die Regierung abgeben. Die Niederlage in Istanbul, der größten Stadt des Landes, war für Erdogan aber eine besondere Schmach, denn hier hatte er 1994 mit der Wahl zum Oberbürgermeister seine politische Karriere begonnen. "Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei", sagen politische Analysten. Deshalb will Erdogan die Stadt jetzt unbedingt zurückerobern. Der Staatschef beschwor in seiner Rede "den Geist von 1994″, der in der Türkei "eine neue Ära eingeleitet" habe. "Schulter an Schulter werden wir Istanbul aus dem Interregnum der fünf vergangenen Jahre zurückbringen", rief Erdogan bei der Kundgebung am Sonntag seinen Anhängern zu.
In der Wirtschafts- und Finanzmetropole Istanbul leben 16 Millionen Menschen. Das entspricht einem Fünftel der Gesamtbevölkerung des Landes. In Istanbul wird ein Drittel des türkischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet. Das Budget der Stadt beläuft sich auf rund 4,5 Milliarden Euro. Die Stadtverwaltung vergibt lukrative öffentliche Aufträge. In der Türkei ist es nicht unüblich, dass dabei auch politische Gesichtspunkte eine Rolle spielen.
Nicht nur deshalb ist die Wahl für Erdogan wichtig. Sollte es dem 52-jährigen Imamoglu gelingen, das Istanbuler Rathaus zu verteidigen, gilt er als aussichtsreicher Kandidat, der bei der nächsten Präsidentenwahl 2028 gegen Erdogan antreten könnte. Aber es gibt einen Haken. Imamoglu hat Ärger mit der Justiz. Ein Istanbuler Gericht verurteilte ihn Ende 2022 wegen Beleidigung zu zweieinhalb Jahren Haft. Imamoglu hatte Mitglieder der staatlichen Wahlkommission wegen der angeordneten Neuwahl als "Dummköpfe" bezeichnet. Regierungskritiker sprechen von einem politisch motivierten Prozess. Imamoglu solle ausgeschaltet werden, sagen sie. Der Fall liegt jetzt bei der nächsten Instanz. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, droht Imamoglu ein politisches Betätigungsverbot. Dann dürfte er kein Amt mehr ausüben.