Die Gangart in der Migrationspolitik hatte sich schon vor diesem Montag verschärft – beispielsweise durch die vom Innenministerium auf den Weg gebrachten neuen Abschieberegelungen und die bereits laufenden Grenzkontrollen. Mit dem 17-seitigen Papier, das unter anderem die verstärkten Grenzkontrollen als dauerhaft bekräftigt, beschleunigte Asylverfahren vorsieht und auch bei den Leistungen für Asylsuchende ansetzt, konnten sich Bund und Länder auf substanzielle Änderungen einigen. Es sind klare Verschärfungen, die Wirkung entfalten werden, wenn die entsprechenden Gesetze tatsächlich zügig auf den Weg gebracht werden.
Von einem "historischen Moment" zu sprechen, wie es der Kanzler tat, ist sicherlich übertrieben. Lautstark die Bilanz zu ziehen, das reiche alles nicht, wie es von der Union tönte, wird den Ergebnissen der Nacht im Kanzleramt auch nicht gerecht. Zumal nationale Maßnahmen alleine ohnehin nicht ausreichen, um in den Herkunftsländern das Signal zu setzen, dass wer sich aus ökonomischen Gründen auf den Weg nach Europa macht, keine Chance auf legale Einwanderung hat.
Deutschland ist in der Migrations- und Integrationspolitik zu lange zu lax und zu blauäugig gewesen. Ein Umsteuern war notwendig. Nun sollte aber auch nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden. Im Gegenteil: Es braucht eine Politik, die dem Slogan von Humanität und Ordnung endlich gleichermaßen gerecht wird. Die Vereinbarungen aus der Nacht zu Dienstag sind dafür eine brauchbare Vorlage. Für die Stimmung im Land und den Zusammenhalt der Gesellschaft ist es nicht nur vonnöten, dass Bund und Länder diese Maßnahmen praktisch umsetzen. Zwingend wäre es auch, dass die Verantwortlichen in der Kommunikation ausnahmsweise mal an einem Strang ziehen und statt der üblichen parteipolitischen Scharmützel das Signal aussenden: In der Migrationspolitik gibt es eine Wende und sie wird vollzogen.
Die Landtagswahlen in Hessen und Bayern waren ausschlaggebend dafür, dass die Ampelregierung in der Migrationspolitik eine Kurskorrektur vorgenommen hatte. Alle drei Parteien waren von den Wählerinnen und Wähler abgestraft worden. Zudem zeigten die Ergebnisse in Hessen, dass die AfD auch im Westen angekommen ist. Die Analysen der Wählerwanderungen belegten, dass die Migrationsfrage tatsächlich den Hauptgrund für den Ruck nach rechts darstellt. Die Bundesregierung hatte also gar keine andere Option, als mit einer Wende in der Asylpolitik das Zeichen zu setzen: Wir haben verstanden.
Umso wichtiger wäre es, dass es dem Kanzler nicht nur gelingt, ein ordentliches Konzept in der Migrationspolitik vorzulegen, sondern die Opposition und die Länder so weit mitzunehmen, dass man die Ergebnisse auch gemeinsam als Erfolg verkauft. Nun ist auch klar, dass trotz der vielfachen nationalen und internationalen Krisenlagen die Kooperation von Bundesregierung, Ländern und Opposition wieder beendet ist.
Wirklich Aufbruchstimmung hat Scholz mit seinem Deutschlandpakt, in dem nun die Themen Planungsbeschleunigung und Migration verquickt wurden, nicht erzeugt. Dabei sind beide Vorhaben absolut zentral, um Deutschland aus der aktuellen Wirtschafts- und aus der politischen Stimmungskrise herauszuholen. Möge die Umsetzung der Beschlüsse besser gelingen als ihre Kommunikation darüber.