Truss ist bereits die zweite Ex-Regierungschefin, die den internen Machtkampf antreibt - Boris Johnson mischt schon seit Wochen wieder mit. Hohe Spenden und Auslandsreisen nach Kiew und Washington erwecken den Eindruck, Johnson strebe wieder eine Führungsstelle an. Oder gar seinen alten Posten in der Downing Street.
Nun sorgt Truss dafür, die ebenso wie Johnson als interne Gegnerin Sunaks gilt, dass in der Konservativen Partei keine Ruhe einkehrt. Demonstrativ ließ sie sich mit alten Verbündeten in Westminster blicken. Zur Erinnerung: Truss war nach nicht einmal 50 Tagen im Amt krachend gescheitert, weil sie mit ihrer Niedrigsteuerpolitik zwar ein konservatives Dogma bediente, die Finanzmärkte aber mit ihrem rein schuldenfinanzierten Vorhaben schockierte. Sunak trat an, um die Scherben aufzukehren. Das gelang, wenn auch zum Preis von Steuererhöhungen - ein rotes Tuch für viele Tories.
Hier legt nun Truss die Axt an. In einem langen Beitrag für die konservative Zeitung "Sunday Telegraph" und in einem Interview mit dem TV-Kanal der konservativen Zeitschrift "Spectator" machte sie deutlich, dass sie ihre Politik nach wie vor für richtig hält. Schuld daran, dass sie als Premierministerin mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte einging, trügen vor allem andere - "ein sehr mächtiges wirtschaftliches Establishment und mangelnde politische Unterstützung". Indem sie darauf beharre, dass sie doch Recht gehabt habe, lege sie nahe, dass Sunak mit seiner gemäßigten, vertrauensbildenden Finanzpolitik falsch liege, kommentierte die BBC.
Die Folgen von Truss' Fiasko sind noch immer zu spüren. Immobilieneigentümer etwa werden auf Jahre höhere Hypothekenzinsen zahlen müssen, weil die Banken die Raten im Zuge der "Trussonomics" enorm erhöht hatten. Doch das ficht einige Tories nicht an, so tief verwurzelt ist die Ideologie strikter Steuersenkungen.
Gesundheitsminister Steve Barclay etwa zeigte sich aufgeschlossen für Truss' Fokus auf Wachstum um jeden Preis. Die 47-Jährige habe nie eine faire Chance erhalten, ihre Vorstellungen umzusetzen, sagte Barclay. Die BBC zitierte ein ehemaliges Kabinettsmitglied, Truss halte die Regierung nicht für konservativ, sondern für sozialdemokratisch. Das ist für Tories ein herbes Schimpfwort. Ein amtierendes Regierungsmitglied sagte dem Sender: "Liz war verrückt, aber sie hatte Recht. Rishi liegt falsch, aber er ist kompetent."
d
Erschwerend für Sunak kommt hinzu, dass er nur Premier ist, weil Truss so krachend scheiterte und die Partei ihn als schnelle Lösung ohne Wahl ins Amt hievte. Als er im Sommer gegen die damalige Außenministerin um Johnsons Nachfolge konkurrierte, verlor der 42-Jährige. Ohnehin ist es eine spannende Konstellation, die sich durch die vielen Wechsel der vergangenen Jahre in der Downing Street ergeben hat. Erstmals in der Geschichte gibt es sieben lebende Ex-Premiers: Außer Truss und Johnson noch dessen Vorgängerin Theresa May, dazu David Cameron, Gordon Brown, Tony Blair und John Major.
Während sich letztere mal mehr, mal weniger deutlich zur aktuellen Lage äußern, sitzen mit May, Johnson und Truss gleich drei frühere Regierungschefs weiterhin als sogenannte Hinterbänkler im Parlament - und damit Sunak wortwörtlich im Nacken. May äußerte sich vor allem während der skandalumwitterten Zeit Johnsons kritisch, blieb zuletzt aber auf Linie. Die anderen beiden aber machen keinen Hehl daraus, dass sie politisch noch Pläne haben. "Die Geister der chaotischen konservativen Vergangenheit sind nie weit weg", kommentierte die BBC.
Dabei stehen die Konservativen schon mit dem Rücken an der Wand. Die Regierung bekommt die seit Wochen tobenden Streiks bei den Bahnen, im Gesundheitsdienst und anderen Branchen ebenso wenig in den Griff wie die steigende Zahl illegaler Einreisen. Alle Umfragen sagen derzeit eine krachende Niederlage bei der für 2024 geplanten Parlamentswahl voraus. Auch wenn Truss beteuert, sie wolle nicht wieder Premierministerin werden: Ihre Einlassungen und der lange Schatten von Johnson, in dem vor allem viele an der Basis noch immer den erfolgversprechendsten konservativen Wahlkämpfer sehen, dürften die Lage kaum verbessern. Die Ablenkung ist bereits jetzt gewaltig.
dp/pcl