Besonders eindrücklich sind aber die Zahlen für Kirgistan: Das bitterarme Land in Zentralasien hatte 2021, dem Land vor dem Einmarsch Russlands in der Ukraine, noch Kfz-Güter im Wert von lediglich drei Millionen Euro aus Deutschland importiert. Seitdem ist der Wert der Kfz-Importe aus Deutschland dramatisch angestiegen: Allein für die ersten zehn Monate dieses Jahres weisen die Destatis-Zahlen Kfz-Verkäufe im Wert von 292 Millionen Euro dorthin aus – ein Anstieg um mehr als 9500 Prozent.
Experten gehen davon aus, dass ein Großteil dieser Exporte über die GUS-Länder nach Russland gelangen."Diese Steigerungsraten lassen sich nicht mit dem Bedarf in den jeweiligen Ländern erklären", sagt Christian von Soest, Sanktionsexperte beim Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA). "Man kann davon ausgehen, dass ein großer Teil des Zuwachses weiter nach Russland geht. Darunter sind wahrscheinlich auch sanktionierte Fahrzeuge und Maschinen."
Seit Ausbruch des Krieges hat die EU ihre Sanktionen sukzessive verschärft: Produkte, die militärisch relevant sein können, dürfen nicht mehr nach Russland exportiert werden, darunter sind Drohnen oder Ersatzteile für die Öl- und Gasindustrie, aber auch teure Waschmaschinen. In der Türkei und den ehemaligen Sowjetrepubliken blüht deshalb ein lukratives Geschäft mit der Umgehung von Sanktionen.
Auch Autos im Wert von mehr als 50.000 Euro dürfen nicht mehr nach Russland verkauft werden. Darüber hinaus haben sich deutsche Hersteller wie BMW, Audi oder Mercedes selbst verpflichtet, keine Geschäfte mehr mit russischen Kunden zu machen. Auch das Werkstattgeschäft in Russland haben die Hersteller eingestellt. Man trage die Sanktionen mit, heißt es unisono bei den Unternehmen.
Allerdings: Auf den Export gebrauchter Autos haben die Hersteller keinen Einfluss. Geschäftemacher können Neuwagen einfach für einen Tag zulassen und nach dieser sogenannten Tageszulassung als gebrauchte Autos in Russlands Peripherie verkaufen. Dass die Staaten der eurasischen Wirtschaftsunion wie Armenien derzeit eine Hintertür zum russischen Markt sind, ist in der Autoindustrie bekannt.
Sanktionsexperte von Soest sieht auch die Hersteller in der Pflicht: "Wenn die Produzenten billigend in Kauf nehmen, dass Autos über Drittländer nach Russland weiterverkauft werden, wäre es mit der Selbstverpflichtung nicht so weit her", sagt er.
Auch der Politik sind die Sanktionsumgehungen ein Dorn im Auge. Im Juni beschloss die EU, künftig auch den Verkauf bestimmter sanktionierter Güter in Drittländer wie Armenien oder Georgien zu verbieten. Allerdings will die EU zu diesem Mittel erst greifen, wenn die Länder nicht von selbst handeln.
Das Geschäft geht derweil offenbar weiter: Das Statistische Bundesamt Destatis meldete am Mittwoch, dass die Kfz-Exporte in die Region in den zurückliegenden Monaten weiter gestiegen sind. Der Wert der Autos und Kfz-Teile, die von Januar bis Oktober von Deutschland in die nichtrussischen GUS-Staaten verkauft wurden, habe bei 2,1 Milliarden Euro gelegen. Das ist eine weitere Steigerung um 65 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2022.
Selbst die Statistiker, die sich sonst öffentlich mit Bewertungen zurückhalten, konnten sich eine Einordnung nicht verkneifen. "Auf Basis der vorliegenden Außenhandelsdaten ist nicht ersichtlich, inwieweit von Deutschland in die GUS-Staaten exportierte Waren möglicherweise in die Russische Föderation weiterexportiert wurden, um damit Sanktionen zu umgehen", heißt es in der offiziellen Mitteilung von Destatis.