An diesem Freitag, wieder ein 8. Dezember, kommt die SPD zu ihrem ersten Präsenzparteitag nach der Pandemie zusammen. "Ein denkwürdiger Moment", sagt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Denn es ist auch Halbzeit. Zeit für eine Bilanz der Arbeit der Ampelregierung. Die fällt für Scholz einigermaßen düster aus. Und der Druck auf ihn ist hoch.
Noch nie stand eine Kanzlerpartei in Umfragen so schlecht da wie seine SPD mit unter 20 Prozent. Die Partei hätte sich gewünscht, sie hätte nur das Coronavirus bekämpfen müssen, was 2021 noch eines der großen Probleme darstellte. Aber dann überfiel Russland die Ukraine. So etwas steht in keinem Koalitionsvertrag. Die neue Koalition wusste an so gut wie keinem Morgen, was bis zum Abend geschieht. Obendrein zerlegte sie sich beinahe beim Heizungsgesetz und der Kindergrundsicherung und wurde im November vom Bundesverfassungsgericht wegen finanztechnischer Fehler für ihren Nachtragshaushalt 2021 abgestraft. Deshalb sollen im Haushalt 2024 noch schnell schätzungsweise 17 Milliarden Euro eingespart und womöglich die Schuldenbremse erneut ausgesetzt werden.
Ausgerechnet vor ihrem Parteitag müssen sich die 600 Delegierten mit dem Gedanken befassen, dass auch die SPD eine Kröte schlucken muss, wenn die FDP sich bei ihrem Steckenpferd Schuldenbremse bewegt und die Grünen bei der Kindergrundsicherung. Und das heißt: Einschnitte ins Sozialsystem. Dabei soll der SPD-Parteitag genau das Gegenteil signalisieren. Kühnert mahnt: Es werde keinen Haushalt 2024 geben, in dem der Sozialstaat gestrichen werde. Von Streichung ist allerdings auch nicht die Rede. Aber von Einsparungen. Die FDP zielt auf das Bürgergeld, das inzwischen 3,9 Millionen Menschen bekommen, die als erwerbsfähig gelten.
Die Erwartung der Partei an Olaf Scholz ist aber, dass er als Sozialdemokrat im Kanzleramt den Sozialstaat verteidigt. Der 65-Jährige wird an diesem Samstag auf dem Kongress in Berlin sprechen. Das ist für die Partei, die ihn im Fernsehen überall auf der Welt sieht, aber eben nicht vor "der roten Wand der SPD", etwas Besonderes. Es wird erwartet, dass er seine Sicht auf "die sozialdemokratische Bewegung" darlegt. Kühnert gibt die Stimmung so wieder: Es herrsche ein großes Bedürfnis, "vom Reagieren ins Agieren" zu kommen. Die SPD wolle wieder "proaktiv" werden.
Da schwingt der Unmut mit, dass die SPD im Sinne des Koalitionsfriedens mit FDP und Grünen in den vergangenen zwei Jahren oft geschwiegen hat. Nun soll es mit Anträgen zu Industriepolitik, Modernisierung, Finanzpolitik, Bildung, Innenpolitik und Migration eine Vorstellung von "SPD pur" geben – als Grundlage des Programms für den Bundestagswahlkampf 2025. So war das auch 2019, als sie die Erhöhung des Mindestlohns forderte, damit 2021 Wahlkampf machte und es dann auch in der Regierung umsetzte.
Die SPD-Anträge bergen aber das Potenzial für Provokation der FDP. So wird etwa die Reform der Einkommens-, Erbschafts- und Schenkungssteuer sowie auch der Schuldenbremse gefordert. Superreiche sollen zusätzlich eine temporäre Krisenabgabe und eine Zukunftsabgabe zahlen.
Die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil stellen sich an diesem Freitag zur Wiederwahl. An ihren Ergebnissen kann Scholz messen, wie hitzig es bei seinem Auftritt zugehen könnte. Maßgebend wird sein, wie weit die Koalitionäre bei den Haushaltsverhandlungen kommen. Es heißt, es werde in diesem Jahr noch eine Einigung zum Bundeshaushalt 2024 geben.
Fraglich ist, ob noch Zeit für Beratung in Bundestag und Bundesrat sein wird. Die SPD hofft darauf, dass sich wenigstens das Kabinett vor Weihnachten einigt, damit alle beruhigt in die Feiertage gehen können und sich die Koalitionäre nicht via Medien streiten. Es hört sich wie eine sanfte Warnung an, wenn Kühnert sagt, alle sozialpolitischen Streitfragen kämen wieder an die Oberfläche. Und: "Wir werden eine Sozialdemokratie erleben, die den Kampf aufnimmt und kampfbereit sein wird."