Ungarn steht laut einem aktuellen Bericht der Europäischen Union weiterhin massiv in der Kritik wegen seiner Missachtung der Rechtsstaatlichkeit. Justizkommissar Didier Reynders äußerte am Mittwoch in Brüssel Besorgnis über die fortdauernden "systemischen Probleme" in Bezug auf Grundrechte in Ungarn, als er den Jahresbericht zur Rechtsstaatlichkeit in den 27 EU-Mitgliedstaaten vorstellte. Auch die Entwicklungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Slowakei sorgen in Brüssel für Sorgenfalten; Journalistenverbände befürchten eine zunehmende staatliche Einflussnahme.
Der fünfte Rechtsstaatsbericht der EU-Kommission enthält nach Angaben eines Beamten eine "Rekordzahl" von acht Empfehlungen an die ungarische Regierung unter Viktor Orbán. Dies hat eine besondere politische Dimension, da Ungarn derzeit den rotierenden Vorsitz im EU-Rat innehat.
Laut Vera Jourova, der Vizepräsidentin der EU-Kommission, bestehen in Ungarn Mängel in allen vier zentralen Bereichen der Rechtsstaatlichkeit: im Justizsystem, bei der Korruptionsbekämpfung, in der Pressefreiheit und bei der Gewaltenteilung. Der Bericht fordert unter anderem "solide Beweise" für Ermittlungen, Strafverfolgung und abschließende Urteile in Korruptionsfällen auf hoher Ebene. Außerdem wird gefordert, dass die ungarische Regierung die "redaktionelle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien" sicherstellt und Gesetze aufhebt, die die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen einschränken.
Bereits im Vorjahr hatte Justizkommissar Reynders Ungarn schwere "Abweichungen von der Rechtsstaatlichkeit" bescheinigt. In den letzten Jahren hat die EU daher verschiedene Verfahren gegen Ungarn eingeleitet und Fördermittel eingefroren. Derzeit sind noch rund 20 Milliarden Euro an EU-Hilfen für Ungarn blockiert, hauptsächlich aufgrund von Verstößen gegen Grundrechte wie das Asylrecht.
Der Europaabgeordnete Moritz Körner (FDP) forderte angesichts der anhaltenden systematischen Vergehen in Ungarn, dass Viktor Orbán zur Rechenschaft gezogen und Ungarn das Stimmrecht in der EU entzogen wird. Das Europaparlament hatte bereits 2018 ein Verfahren nach Artikel 7 gegen Ungarn eingeleitet, doch ein Stimmrechtsentzug im EU-Rat müsste von allen 26 anderen Mitgliedstaaten genehmigt werden, was derzeit nicht absehbar ist.
In Bezug auf die Slowakei erklärte Vizekommissionspräsidentin Jourova, dass sie bereits im April Gespräche mit Premierminister Robert Fico über das kritisierte Gesetz zum Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geführt habe. Da jedoch noch keine endgültige Fassung des Gesetzes vorliegt, hat die EU-Kommission bislang keine Maßnahmen ergriffen. Im Falle von Verstößen könnte Brüssel jedoch ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat bereits vor einem "schweren Schlag" gegen die Pressefreiheit gewarnt.