"Vor allem aber benötigen wir einen klaren Zeitplan. Die Menschen müssen wissen, was auf sie zukommt." Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte Reformen für die Altenpflege angekündigt. Lindner reagierte skeptisch. Aus der SPD seien an ihn als Finanzminister aktuell Forderungen nach immer mehr Geld gekommen, sagte er am Sonntagabend im ARD-"Bericht aus Berlin". "Die Frage, wo kommt es her, wird da nicht beantwortet."
Mitte Januar hatte für Schlagzeilen gesorgt, dass die Anteile für Pflegebedürftige und ihre Familien pro Heimplatz weiter gestiegen sind - und zwar binnen eines Jahres um 278 Euro auf im Schnitt 2411 Euro pro Monat. Dabei war 2022 ein Entlastungszuschlag zur Begrenzung eingeführt worden. Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP angekündigt, eine Absenkung des Eigenanteils zu prüfen. Schmidt wollte sich auf Nachfrage nicht zum Problem der Eigenanteile äußern. Außerdem will die Ampel laut Koalitionsvertrag die Rentenbeiträge für Angehörige aus Steuern finanzieren und häusliche Pflege stärken. Das Pflegegeld, das für häusliche Pflege fließt, sollte bereits ab 2022 dynamisiert werden. Sozialverbände hatten kritisiert, dass das Pflegegeld trotz Inflation seit 2017 gar nicht erhöht worden sei.
Schmidt stellte die Pflege nun in eine Reihe mit Gesundheitsvorsorge, Mobilität oder Weiterbildung: Investitionen in diese Bereiche machten sich bald bezahlt. "Es ist die Aufgabe des Finanzministers, die dafür notwendigen Mittel jetzt zur Verfügung zu stellen und endlich auch Verantwortung für die Einnahmeseite zu übernehmen." Die pflegepolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Heike Baehrens, hält Entlastungen bei der häuslichen Pflege für äußerst dringlich. "Das muss schnell auf den Weg gebracht werden und dazu brauchen wir die notwendigen Mittel vom Bundesfinanzminister", sagte sie der "Bild am Sonntag". Schmidt sagte, die Angehörigen leisteten Großartiges. "Wir müssen sie dabei unterstützen und ihnen das Leben leichter machen." Die Vorstellungen im Koalitionsvertrag müssten jetzt umgesetzt werden.
Auch die Pflegekassen pochen auf mehr Steuergeld. "Zu einer fairen Pflege-Finanzierung gehört auch, dass die versicherungsfremden Leistungen, die die Pflegeversicherung an Stelle und im Auftrag des Bundes übernimmt, voll gegenfinanziert werden", sagte Gernot Kiefer vom Vorstand des GKV-Spitzenverbandes am Sonntag der dpa. Er verwies auf die rund 3,3 Milliarden Euro, die die Pflegeversicherung jedes Jahr für Sozialversicherungsbeiträge von Angehörigen zahlt. "Davon müsste der Pflegeversicherung künftig jeder Cent über einen verlässlichen und dynamisierten Bundeszuschuss refinanziert werden." 3,3 Milliarden Euro sind der Betrag, den die Pflegekassen durch 0,2 Beitragssatzpunkte bekommen.
Schon länger wird über mehr Steuern für die Pflege diskutiert. Zum 1. Januar 2022 war ein dauerhafter Bundeszuschuss von einer Milliarde Euro pro Jahr für die Pflegeversicherung eingeführt worden. Dabei sind auch steigende Pflegebeiträge bereits absehbar. Lauterbach hatte eingeräumt, um steigende Beiträge werde man nicht umhin können. Seit Anfang 2022 liegt der Pflegebeitrag bei 3,05 Prozent des Bruttolohns, 3,4 Prozent für Kinderlose. Hinter den Kulissen hat das Ringen über die Pflegefinanzierung längst begonnen. Reformvorschläge Lauterbachs würden "weitere Leistungsausweitungen in Milliardenhöhe" bringen, hieß es im Finanzministerium laut einem Bericht des "Handelsblatts" vom Donnerstag. Da bestehe noch "erheblicher Beratungsbedarf". FDP-Pflegeexpertin Nicole Westig forderte in der "Bild am Sonntag", dass medizinische Behandlungspflege in Heimen künftig aus der Krankenversicherung bezahlt wird und so Eigenanteile reduziert werden.
Der Vorstand der Deutsche Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, warf Lindner vor, den Koalitionsvertrag brechen zu wollen. "Denn einen angemessenen Bundeszuschuss aus den sprudelnden Haushaltsmitteln für die Hilfsbedürftigen lehnt Christian Lindner ab", sagte Brysch der dpa. "Das Zögern der Bundesregierung bei der Unterstützung der Pflegebedürftigen muss ein Ende haben." Jeder Betroffene brauche ab sofort 300 Euro monatlich mehr. Auch ein Inflationsausgleich sei "unverzüglich einzuführen".
Zusätzliche Hilfe für die Pflege wegen der aktuellen Inflation- und Energiepreiskrise forderte auch der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Es sei "beschämend, dass der Bund ambulante Pflegeeinrichtungen bei den Hilfen zur Energiekrise nicht bedacht hat". Die Vorsitzende des Sozialverbandes Deutschland, Michaela Engelmeier, sagte: "Die Leute überlegen sich: Kann ich mir eine Minute Hilfe mehr leisten? Oder kaufe ich mir stattdessen einen Laib Brot? Dann bucht man eben nur die kleine Körperwäsche."
Nach einer Studie des Wissenschaftlichen Instituts der Privaten Krankenversicherung könnte die Zahl der Pflegebedürftigen von knapp 5 Millionen bis 2025 auf knapp 5,5 steigen.
dp/pcl