Nach der Veröffentlichung erster konkreter Falschbuchungsvorwürfe gegen Wirecard durch die Londoner "Financial Times" im Frühjahr 2019 unternahm der Vorstand nach Eindruck des 40 Jahre alten Zeugen nichts, um den Anschuldigungen auf den Grund zu gehen: "Mein Eindruck war, dass man sich nicht aktiv um die inhaltliche Auseinandersetzung und Aufklärung bemüht", sagte der Rechtsanwalt. "Sondern dass alles möglichst klein gehalten werden sollte."
Der frühere Vorstandsvorsitzende Markus Braun, der ehemalige Chefbuchhalter des Konzerns und der frühere Wirecard-Geschäftsführer in Dubai stehen seit Anfang Dezember wegen mutmaßlichen Milliardenbetrugs vor Gericht. Sie sollen als kriminelle Bande mit zahlreichen weiteren Komplizen einen Großteil der Wirecard-Gewinne erfunden und Banken um über drei Milliarden Euro geprellt haben.
Braun bestreitet die Anklage, der frühere Dubai-Manager hat als Kronzeuge alle Vorwürfe eingeräumt, der ehemalige Chefbuchhalter schweigt bislang. Der Großteil der Wirecard-Belegschaft inklusive der Rechts- und Compliance-Abteilungen wusste offensichtlich nichts von kriminellen Geschäften. Konkrete individuelle Anschuldigungen gegen die Angeklagten erhob der einstige Compliance-Chef nicht.
Der Jurist hegte nach eigenen Worten dabei durchaus Zweifel an den Erfolgsbilanzen seines früheren Arbeitgebers. "Schlüssig war es für mich nicht." Abgesehen von der dünnen personellen Ausstattung stießen die Compliance-Wächter bei Wirecard demnach noch auf ein weiteres Problem: Die Abteilung war dem Zeugen zufolge eher pro forma eingerichtet worden. "Mein Verständnis war, dass damit einige formale Checkboxen abgehakt werden sollte, das aber kein Urbekenntnis zu Wohlverhalten bedeuten sollte."
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