Ärzte- und Apothekerverbänden widersprechen damit der jüngsten Darstellung Lauterbachs, die Lage habe sich verbessert. "Von einer Entspannung der Situation ist derzeit nichts zu spüren – im Gegenteil: Die Rückmeldungen von den Kolleginnen und Kollegen legen nahe, dass sich die Lage im Vergleich zu vergangenem Jahr eher weiter zugespitzt hat", sagte die Co-Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Nicola Buhlinger-Göpfarth.
Auch die Kinderärzte berichten von einer weiterhin schwierigen Versorgungslage, die sich noch verschlechtern könnte. "Es besteht in der Kinder- und Jugendheilkunde vor allem im Bereich der Fieber- und Schmerzsäfte sowie der Basisantibiotika ein Engpass, der sich mit zunehmender Infektionslage noch deutlich zuspitzen wird", warnte der Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Jakob Maske – selbst Kinderarzt.
Die Apothekerschaft sieht ebenfalls kein Licht am Ende des Tunnels. "Unsere jährliche Umfrage unter Apothekeninhaberinnen und -inhabern zeigt deutlich, dass die Apotheken auch in diesem Winter zahlreiche Lieferengpässe erwarten", sagte die Präsidentin der Apothekervereinigung ABDA, Gabriele Overwiening.
Dass sich Lage tatsächlich nicht gebessert hat, zeigt ein Blick in die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm) geführte Liste der Medikamente, für die Pharmahersteller Lieferengpässe gemeldet haben. Sie umfasst derzeit 513 Einträge, im vergangenen Herbst standen noch rund 300 Mittel auf der Liste. Zwar bedeutet ein Lieferengpass nicht automatisch, dass ein medizinisches Versorgungsproblem besteht. Schließlich sind häufig nur bestimmte Darreichungsformen oder Wirkstoffkonzentrationen betroffen, die vergleichsweise leicht ausgetauscht werden können. Aber wenn die Lieferprobleme oft verschriebene Arzneimittel oder ganze Medikamentengruppen betreffen, ist die Not groß.
Genau das ist nach Einschätzung der Hausärzte aber der Fall. "Die Hausarztpraxen kämpfen jeden Tag mit massiven Lieferengpässen bei vielen dringend notwendigen und weit verbreiteten Medikamenten", berichtete Verbandschefin Buhlinger-Göpfarth. Inzwischen sei eine "ganze Palette von Medikamenten", die in den Hausarztpraxen regelmäßig verschrieben würden, von Lieferschwierigkeiten betroffen. Die genaue Liste sei regional unterschiedlich und ändere sich auch ständig, sagte sie. Besonders betroffen sind nach ihren Angaben nach wie vor Antibiotika, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. Aber auch Blutdrucksenker, Psychopharmaka, Augentropfen und Augensalben sowie bestimmte Statine (Cholesterinsenker) seien Mangelware.
Laut Kinderarzt Maske sind auch nach wie vor Schmerz- und Fiebersäfte betroffen, die für bestimmte chronisch kranke Kinder und Jugendliche essenziell seien. "Es fehlen jedoch auch die Basisantibiotika, also die Mittel der ersten oder auch zweiten Wahl für schwere bakterielle Erkrankungen, was zu einer schlechteren Behandelbarkeit und damit unter Umständen auch zur Verschlechterung der Erkrankungen führen kann", so der Verbandsvertreter.
Lauterbachs Gesetz, mit dem unter anderem die strikten Preisregularien vor allem für Kinderarzneimittel gelockert, die Austauschmöglichkeiten für Apotheker vereinfacht und die Produktion von Wirkstoffen in der EU gefördert werden sollen, hat offensichtlich noch keine durchschlagende Wirkung, was Experten allerdings auch nicht verwundert. Schließlich gibt es für Engpässe viele Gründe, etwa Lieferprobleme bei Vorprodukten oder eine Verengung des Marktes auf wenige oder manchmal nur noch einen einzigen Hersteller. Gibt es dort Probleme, schlägt das sofort auf den Markt durch.
Skeptisch sind Ärzte und Apotheker auch, ob die seit Freitag geltende Dringlichkeitsliste für Kinderarzneien etwas bringt. In diese Liste werden vom BfArm alle "essenziellen" Medikamente aufgenommen, für die es in der laufenden Infektionssaison zu einer "angespannten Versorgungssituation" kommen könnte. Alle gelisteten Mittel dürfen von den Apotheken ohne Rücksprache mit dem Arzt gegen wirkstoffgleiche Medikamente ausgetauscht werden, auch in einer anderen Darreichungsform – also zum Beispiel Zäpfchen statt Saft.
Kinderarzt Maske beklagt allerdings, dass die Kinder- und Jugendärzte an der Erarbeitung der Liste nicht beteiligt seien. Und die Apotheken kritisieren, dass die Liste unpraktikabel sei und den bürokratischen Aufwand extrem erhöhe. "Wir hätten uns gewünscht, dass alle Kinderarzneimittel austauschbar sind, und nicht nur diejenigen aus der Liste", so ABDA-Chefin Overwiening. Ihre Prognose zur Versorgungslage: "Eine wirksame Abhilfe ist derzeit leider kaum in Sicht."