Dennoch: "Bitterkalte Tage, die sind wir hier durchaus gewohnt", sagt Anita. Und dass daraus nun ein internationales Medienthema werde, überrascht sie. Beinahe alles gehe in Umeå seinen geregelten Gang. "Wer kann, der arbeitet im Homeoffice. Wer nach draußen muss, der nimmt sicherheitshalber den Bus statt das Auto" erklärt sie. "Die Leute gehen weniger shoppen, aber alle Geschäfte sind geöffnet." Einschränkungen allerdings gebe es derzeit aber kaum.
Schweden, das wird schon bei diesem ersten Anruf klar, ist auf solche Wetterlagen durchaus vorbereitet. Gerade im nördlichen Teil des Landes, in dem auch die 90.000-Einwohner-Stadt Umeå liegt, sind Temperaturen im zweistelligen Minusbereich keine Seltenheit. Die Durchschnittstemperatur liegt hier im Winter bei minus 13 Grad – der Landesdurchschnitt ist mit minus vier Grad deutlich wärmer.
Was dieser Tage passiert, ist aber schon ein bisschen ungewöhnlich: Ein Hochdruckgebiet mit äußerst kalter Luft über dem Nordosten Schwedens und dem Norden Finnlands hat dem schwedischen Kvikkjokk-Årrenjarka minus 43,6 Grad beschert, die bislang tiefste gemessene Temperatur dieses Winters. Sie schlug auch den kurz zuvor gemessenen Rekord in Nikkaluokta bei Kiruna – da waren es minus 41,6 Grad. Der schwedische Temperaturrekord von 2001 ist damit aber noch nicht gebrochen. Damals wurden minus 44 Grad in Storbo gemessen, das westlich an der Grenze zu Norwegen liegt. Auch im benachbarten Finnland liegen die Temperaturen aktuell zwischen minus 20 und minus 30 Grad. In der nordwestlichen Stadt Ylivieska wurden 37,8 Grad Celsius gemessen, und damit der finnische Temperaturrekord dieses Winters.
Auswirkungen hat die Wetterlage durchaus: Einem Bericht des schwedischen Rundfunksenders SVT zufolge wurden in Schweden alle Verbindungen für Passagierzüge nördlich von Umeå bis vorläufig Donnerstag eingestellt. Und auch in der Region um Kiruna, dem Ort des kurzzeitigen Temperaturrekords, gab es am Mittwoch Probleme. Insgesamt 798 Haushalte in verschiedenen Dörfern waren ab 10 Uhr ohne Strom, wie die schwedische Rundfunkanstalt SVT berichtete.
Bewohnerinnen und Bewohner allerdings versuchen den klirrenden Temperaturen zu trotzen. Das sagt auch Louise Johansson, die für das örtliche Tourismusbüro in Kiruna in Lappland arbeitet. Zum Zeitpunkt des Anrufs sind es in der Stadt minus 31 Grad. Die meisten würden ihren Alltag ganz normal fortführen, sagt sie – ihn aber durchaus den Wetterbedingungen anpassen. "Ich laufe morgens normalerweise 20 Minuten zur Arbeit", sagt Johansson. "Das spare ich mir bei solchen Temperaturen natürlich – man muss ein bisschen vorsichtig sein." Stattdessen habe Johansson den Bus zur Arbeit genommen. Der öffentliche Nahverkehr in der Stadt fahre zuverlässig – daran änderten auch niedrige Temperaturen nichts.
Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Auto zur Arbeit kämen, hätten manchmal Probleme, da ihre Wagen nicht ansprängen. Sonst aber gehe in Kiruna alles seinen geregelten Weg.
Einige touristische Attraktionen hätten wegen der tiefen Temperaturen geschlossen oder seien angepasst worden. Geschäfte, Supermärkte und Cafés seien aber geöffnet wie eh und je. Zumindest in den Städten sei es nicht nötig, sich an solchen Tagen zu Hause mit Essen einzudecken, sagt Johansson. Die Menschen außerhalb müssten mehr Vorkehrungen treffen, weil sie teils weite Wege zu Supermärkten hätten.
Viele Bewohnerinnen und Bewohner würden sich über die Eiseskälte sogar freuen. Johansson verweist auf Bilder in den sozialen Netzwerken: "Viele meiner Freundinnen und Freunde haben Fotos gepostet, wie sie mit schneeweißen Haaren durch die Landschaft laufen."
Dennoch: Ganz ungefährlich seien die klirrenden Temperaturen nicht. Ist der Körper mit derartigen Minusgraden konfrontiert, zieht er die Gefäße in Armen und Beinen zusammen und drosselt die Durchblutung, damit weniger kaltes Blut in die Körpermitte strömt. Die Folge: Insbesondere Finger, Zehen und Ohren kühlen aus – das Risiko von Erfrierungen an diesen Körperstellen ist hoch. "Wer sich draußen aufhalten will, muss sich entsprechend schützen", warnt Johansson. Auch Touristinnen und Touristen gebe man entsprechende Empfehlungen auf den Weg.
Erfolgversprechend sei die Zwiebeltaktik, sagt die Tourismusexpertin – die wende hier aktuell fast jeder an. Johansson selbst trage stets verschiedene Schichten Kleidung, "das hilft besser als nur eine warme Winterjacke." Zudem sei die Wahl der richtigen Hose wichtig.
Zwischenfälle, etwa weil sich Touristinnen und Touristen bei den eisigen Temperaturen überschätzten, seien Johansson bislang nicht bekannt. "Und Menschen, die hier leben, lernen natürlich von klein auf, wie man sich bei solchen Temperaturen verhält", sagt sie.
Das Winterwetter trifft aber nicht nur den Norden Schwedens mit voller Wucht. Schwedische Tageszeitungen berichteten am Mittwoch auch von allerhand Unfällen und Verkehrschaos auf den Straßen in Südschweden. Auf der E6 kam der Verkehr am Morgen durch zahlreiche Unfälle zum Erliegen, berichtet "Expressen". Hier verunfallten am Morgen Lastwagen bei Landskrona und Autos vor Helsingborg und Ängelholm. Am Nachmittag herrschte auf der betroffenen Strecke weiterhin Stillstand. In mehreren Regionen sei zudem der Busverkehr eingestellt worden, schreibt die Zeitung.
Auch in Finnland kam es zu Unfällen. Im Bergmassiv Pallastunturi im finnischen Teil von Lappland ereignete sich ein Lawinenunglück. Laut örtlicher Polizei wurden eine Frau und ihr minderjähriges Kind am Dienstag bei einer Skiwanderung von einer Schneelawine erfasst. Die Mutter wurde am späten Abend tot entdeckt, das Kind wurde am Mittwoch weiter vermisst. Zum Zeitpunkt des Unglücks hatte es demnach bei Temperaturen um die minus 23 Grad kräftig geweht.
Die Kältewelle ist derweil noch nicht vorbei. Das Hochdruckgebiet ziehe nun Richtung Süden, erklärt Pall August Thorarinsson vom Wetterinstitut Stormgeo der Zeitung "Expressen". Das dürfte am Wochenende wieder zweistellige Minusgrade bringen. Im Norden von Schweden würden dann minus 20 bis minus 30 Grad erwartet, in Mittelschweden bis zu minus 15 Grad und selbst im Süden minus drei bis acht Grad.