Erstmals aber musste Dupond-Moretti seit Anfang November selbst auf die Anklagebank wegen des Vorwurfs der Korruption. An diesem Mittwoch wird das Urteil erwartet. Auch für Frankreich war sein Fall eine Premiere: Noch nie zuvor stand ein amtierender Justizminister vor Gericht. 2020 hatte Präsident Emmanuel Macron den streitbaren Anwalt ins Kabinett geholt – ein Coup, um die Politik mittels einer charismatischen Persönlichkeit greifbarer zu machen. Viele kannten Dupond-Moretti auch als Jury-Mitglied einer TV-Sendung oder aus Filmen und einem Theaterstück, wo er einen Anwalt oder manchmal gleich sich selbst spielte.
Laut Anklage beging der 62-Jährige gleich bei seinem Amtsantritt einen schweren Fehler. Demnach soll er interne Verfahren gegen einen Untersuchungsrichter und drei Staatsanwälte eingeleitet haben, mit denen er zuvor als Anwalt aneinandergeraten war. Einer der Fälle betraf Vorwürfe gegen Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und dessen Anwalt Thierry Herzog, die von einer in Justizkreisen gut vernetzten Person gewarnt worden waren, dass ihre Telefone abgehört wurden. Weil die Ermittler auch Dupond-Moretti zu den möglichen Informanten zählten, wurden seine Telefonverbindungen durchpflügt und seine Büros durchsucht. Es habe sich um "Demütigung und Spektakel", um unzulässige "Geheimdienst-Methoden" gehandelt, klagte er damals.
Vor Gericht wies er allerdings den Vorwurf, er habe sein Amt für Vergeltungsaktionen missbraucht, gewohnt wortgewaltig zurück. "Dieser Prozess ist eine Schmach für mich und mein nahes Umfeld", verkündete er. Seit drei Jahren trete man die Unschuldsvermutung, die auch für ihn gelte, mit Füßen. Viele Zeugenaussagen begleitete er, wie es schon in seiner Zeit als Anwalt seine Gewohnheit war, mit unzufriedenem Brummen und hörbaren Seufzern. "Entschuldigung, ich bin etwas aufbrausend", war seine Erklärung dafür.
Verhandelt wurde nicht vor einem normalen Gericht, denn für ehemalige und amtierende Politiker tritt in Frankreich ein spezieller Gerichtshof, der Cour de Justice de la République (CJR), zusammen. Diese Instanz besteht aus drei Richtern und jeweils sechs Abgeordneten aus beiden Parlamentskammern.
Er hätte sich nie vorstellen können, jemals in einem Prozess dem amtierenden Justizminister gegenüberzusitzen, sagte Generalstaatsanwalt Rémy Heitz. Die Anschuldigungen seien "schwerwiegend, weil sie eine Institution betreffen, die unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern Respekt und Vertrauen einflößen sollte". Der Minister der Justiz habe mehr als jeder andere auf "die Einhaltung ethischer Standards" zu achten, sagte Heitz. Er forderte eine einjährige Bewährungsstrafe.
Auf die Appelle zurückzutreten oder zumindest sein öffentliches Amt während des Prozesses ruhen zu lassen, war Dupond-Moretti nicht eingegangen. Er stehe früh auf und könne das stemmen, sagte er. Auch Macron wollte ihn trotz der Vorwürfe halten und nutzte eine Regierungsumbildung im Sommer nicht, um auch den Justizminister auszutauschen. Es heißt, seine Frau Brigitte und er seien mit Dupond-Moretti und seiner Lebensgefährtin, der kanadischen Sängerin Isabelle Biolay, befreundet. Doch der politische Preis für diese Nähe könnte hoch sein – ob es zu einer Verurteilung kommt oder nicht. Denn der Image-Schaden ist da, zumal am Montag ein Prozess gegen ein weiteres Kabinettsmitglied begann: Arbeitsminister Olivier Dussopt wird Günstlingswirtschaft in seiner Zeit als Bürgermeister einer Kleinstadt vorgeworfen.