Nicht nur räumlich hat sich das Leben für den 51-Jährigen dramatisch verändert, seit ihn die Mehrheit des Repräsentantenhauses am Mittwoch zum neuen Parlamentschef gewählt hat. Damit beendeten die Republikaner ihre chaotische dreiwöchige Selbstblockade nach dem Sturz von Kevin McCarthy durch acht ultrarechte Abgeordnete. Drei Anläufe von prominenteren Kandidaten für das Amt scheiterten an Querschüssen aus den eigenen Reihen. Der stramm konservative und wenig bekannte Johnson, so glauben viele Beobachter, wurde am Ende bestätigt, weil er in der Partei die wenigsten Feinde hatte.
Johnson startet also mit wenig Erfahrung und ohne große Hausmacht in das dritthöchste öffentliche Amt der USA. Er wurde gewählt von einer Fraktion, die über eine hauchdünne Mehrheit von vier Stimmen verfügt und intern extrem zersplittert ist. Und angesichts der Mehrheit der Demokraten im Senat wird er im Alleingang kein Gesetz durchbringen können. "Wir haben eine Menge Lektionen gelernt", sagte er nach seiner Wahl demonstrativ schönfärbend in die Richtung seiner Fraktion: "Durch Widrigkeiten wird man stärker." Dem Fraktionschef der Demokraten, Hakeem Jeffries, bot er höflich eine Zusammenarbeit an: "Ich bin sicher, dass wir eine gemeinsame Basis finden werden."
Die Herausforderungen sind gewaltig: Schon am 17. November läuft der Übergangshaushalt der USA ab. Es droht ein dramatischer Shutdown mit dem Stillstand des Regierungshandelns. Die ultrarechten Extremisten in der Republikaner-Fraktion stört das nicht: Sie hatten Johnsons Vorgänger McCarthy aus dem Amt gejagt, weil er für das derzeitige Übergangsbudget einen Kompromiss mit den Demokraten geschlossen hatte. Gleichzeitig toben Kriege in Europa und Nahost. Präsident Joe Biden hat ein 105-Milliarden-Dollar-Paket vorgelegt, das unter anderem Hilfen für Israel und die Ukraine beinhaltet. Ohne die Zustimmung beider Häuser des Parlaments kann das Geld nicht fließen.
Johnsons größtes Problem dürfte die vom Ex-Präsidenten Donald Trump weit nach rechts getriebene, aber innerlich zerstrittene Republikaner-Fraktion im Repräsentantenhaus sein. Mit ihrer Totalblockade haben die Ultrarechten seinem Vorgänger McCarthy das Regieren unmöglich gemacht. Als Abtreibungsgegner, Opponent der gleichgeschlechtlichen Ehe und Vorkämpfer für eine gerichtliche Anfechtung des Wahlsieges von Joe Biden genießt der evangelikale Familienvater bei diesem Flügel mutmaßlich mehr Wohlwollen. Doch mit den Extremisten alleine kann er nichts bewirken.
Vor allem die Stimmen der verbliebenen moderateren Republikaner werden für den neuen Speaker überlebenswichtig sein. Jene 18 republikanische Abgeordnete, die aus Wahlbezirken stammen, die Biden bei der Präsidentschaftswahl geholt hatte, müssen bei einer weiteren Radikalisierung nämlich um ihre Wiederwahl fürchten. Nur zähneknirschend haben viele von ihnen für Johnson gestimmt. "Wir haben eine starke Stimme als Königsmacher", meldete sich die Abgeordnete Lori Chavez-DeRemer aus Oregon schon zu Wort: "Wir müssen uns bemerkbar machen."
Ob der unerfahrene Johnson die Beinfreiheit hat, mit den Demokraten beim Haushalt und den Militärhilfen Kompromisse zu schließen ist ebenso unklar wie seine eigene Position. In der Vergangenheit hat sich der erzkonservative Jurist auch finanzpolitisch als Hardliner gegeben und für 30-prozentige Ausgabenkürzungen im Budget votiert. Nun dürfte er versuchen, den drohenden Shutdown durch einen neuerlichen Übergangshaushalt bis zum Januar oder April abzuwenden. Doch derartigen Einschnitten, das haben die Demokraten unmissverständlich klargemacht, würde Bidens Partei niemals zustimmen.
Ebenso unklar ist die Zukunft der Ukraine-Hilfen. Zahlreiche Trumpianer in der Fraktion wollen das von Russland überfallene Land nicht weiter unterstützen. Johnson selber stimmte im vergangenen Jahr gegen ein 40-Milliarden-Paket. Inzwischen formuliert er seine Position etwas weicher. In seiner Antrittsrede erwähnte der Speaker die Ukraine aber nicht. Dafür ließ er als erste Amtshandlung eine allgemeine Resolution zur Unterstützung von Israel verabschieden.