Sie kursieren seit Wochen im Netz und enthalten Informationen zu Waffenlieferungen, Einschätzungen zum Kriegsgeschehen, aber auch Details zu angeblichen Spähaktionen der USA gegen Partner. Biden sagte den Reportern zufolge, das ganze Ausmaß des Vorfalls solle ausgiebig untersucht werden. Er glaube nicht, dass das lange dauern werde. Im Zentrum der Affäre steht ein 21 Jahre alter Nationalgardist der US-Luftwaffe namens Jack Teixeira. Ihm werden unbefugte Entfernung, Aufbewahrung und Übermittlung von Verschlusssachen und nationalen Verteidigungsinformationen vorgeworfen, wie am Freitag bekannt wurde. Darauf stehen bis zu 15 Jahre Gefängnis. Inzwischen wurde der Beschuldigte einem Ermittlungsrichter vorgeführt. Teixeira steht im Verdacht, die Dokumente zunächst in einem geschlossen Chat-Raum auf der bei Videospielern beliebten Plattform Discord veröffentlicht zu haben. Von dort aus verbreiteten sie sich im Internet, bis auch Behörden und Medien darauf aufmerksam wurden.
Laut Gerichtsunterlagen teilte Teixeira die brisanten Informationen zunächst von Dezember vergangenen Jahres an als Abschriften mit der Gruppe. Ab Januar soll er auch Fotos von ausgedruckten Dokumenten hochgeladen haben. Die Sicherheitsbehörden müssen sich nun kritische Fragen gefallen lassen, warum der IT-Fachmann auf einem Militärstützpunkt im Bundesstaat Massachusetts überhaupt Zugang zu den geheimen Unterlagen hatte.
"Durch unsere Ausschüsse wird der Kongress Antworten darauf bekommen", schrieb der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, der Republikaner Kevin McCarthy, auf Twitter. Er warf Bidens Regierung vor, sie habe versagt und geheime Informationen nicht gesichert. Die republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, eine Frontfrau der radikalen Rechten, stellte auf Twitter die Frage in den Raum: "Wem vertraut man wichtige Informationen an, die die Sicherheit unserer Nation und unserer eigenen Leben betreffen?" Für die US-Regierung sind nicht nur die Sicherheitslücke an sich und die Offenlegung des sensiblen Materials problematisch, auch die Außenwirkung auf internationaler Bühne ist fatal: Plötzlich steht die Frage im Raum, wie verlässlich und loyal die USA als Verbündeter sind, wie gut die Regierung ihre eigenen Geheimnisse und die ihrer Partner schützt.
Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, der Republikaner Mike Turner, befürchtet Auswirkungen auf die Beziehungen zu internationalen Partnern - und das mitten während eines Kriegs. Noch sei unklar, wie viele Verschlusssachen in unbefugte Hände gelangt seien und wie sich das Ausmaß der Schäden begrenzen lasse. Der Ausschuss werde auch untersuchen, warum dies "wochenlang unbemerkt blieb", schrieb Turner auf Twitter. Präsident Biden wies Militär und Geheimdienste an, zusätzliche Maßnahmen zum Schutz sensibler Informationen zu ergreifen. Die Verbreitung von nationalen Verteidigungsinformationen solle weiter eingeschränkt werden. Verteidigungsminister Lloyd Austin gab eine Untersuchung über den Zugang zu Geheimdienstinformationen innerhalb seines Ressorts in Auftrag. Auch Kontrollverfahren würden überprüft, um zu verhindern, "dass sich ein derartiger Vorfall wiederholt".
Aus den Gerichtsunterlagen geht hervor, dass Teixeira durch seine Rolle als IT-Fachmann die offizielle Freigabe besaß, streng geheime Regierungsunterlagen einzusehen - obwohl er in einem niederrangigen Dienstgrad tätig war. Pentagon-Sprecher Pat Ryder betonte, beim US-Militär werde Mitarbeitern oft "schon in jungen Jahren eine große Verantwortung" übertragen, zum Beispiel als Anführer einer militärischen Einheit im Kampf.
Teixeiras Motiv dafür, die geheimen Unterlagen zu veröffentlichen, ist bislang nicht zweifelsfrei geklärt. Erste Erkenntnisse wollen nicht so recht ins Schema ähnlicher Geheimnisskandale der Vergangenheit passen. Anders als etwa bei den Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden scheint bislang nichts auf ein politisches Motiv hinzudeuten. Teixeira sei nicht unbedingt feindselig gegenüber der US-Regierung gewesen, sagen Mitglieder der Chat-Gruppe. Auch dass er ein russischer oder ukrainischer Agent gewesen sei, halten sie für unrealistisch. Ihm sei es wohl vor allem darum gegangen, "vor seinen Freunden zu prahlen" und sie zu informieren, sagte ein Mitglied der Gruppe der "Washington Post".
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