Unter dem Motto "Arts of survival" plant Tartu ein umfangreiches Programm für 2024. Mehr als 350 Projekte und über 1000 Veranstaltungen sind in Planung. Zu den Highlights des Kulturjahrs, das am 26. Januar 2024 startet, gehören beispielsweise das Massenküssen-Event "Kissing Tartu" mit Dragqueen Conchita Wurst und ein Theaterstück über den Geldwäsche-Skandal um die Danske Bank. Der reisereporter stellt dir vor, was die Kulturhauptstadt so besonders macht. Der Flair in Tartu ist ein Mix aus Stadt und Dorf. In der 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner großen Stadt zeigt sich der Kern städtisch mit vielen Cafés, Läden, Kneipen oder Antiquariaten und Clubs. Der historische Rathausplatz ist einladend und fördert die Flanierlaune.
Dann wieder gibt es Stadtteile wie das beschauliche Supilinn, das übersetzt so viel wie "Suppenstadt" bedeutet. In dem kleinen historischen Stadtviertel sind die Häuser aus Holz gebaut und die Straßennamen orientieren sich an Gemüsebezeichnungen. Beim Spaziergang durch die Erbsenstraße kommt auf jeden Fall Nostalgie auf. In der alten Fabrikanlage Aparaaditehas in Tartu kannst du heutzutage der Kunstwelt näherkommen. Die Kreativszene hat sich hier, 1,6 Kilometer vom Rathausplatz entfernt, angesiedelt. Ganzjährig schlenderst du durch Galerien, in vier Restaurants und zwei Cafés bieten sich Verweilmöglichkeiten und in Design- und Kunstgeschäften wird gestöbert. Auf dem Gelände finden außerdem Theater- und Filmvorführungen und regelmäßig auch der Flohmarkt Müürilille Flea Market statt.
Doch nicht nur die Gegenwart, auch die Vergangenheit der Fabrikanlage ist interessant. Zu Sowjetzeiten wurden in der Fabrikanlage heimlich U-Boot-Teile hergestellt. Um das geheim zu halten, stellte man sich offiziell als Regenschirm- und Reißverschluss-Fabrik dar. Zurück zum Thema Kuss und zum Rathausplatz. Hier steht die Brunnenskulptur, die den Platz prägt und nicht nur zu den beliebtesten Fotomotiven der Stadt, sondern auch zu den Wahrzeichen von Tartu zählt: die Küssenden Studenten. Eng umschlungen, unter einem Regenschirm stehend, sie streckt das rechte Bein nach hinten weg: Die Bronzefigur versprüht Romantik und ist auch ein Abbild für die große Studentendichte der Stadt. Fast 20 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner von Tartu sind Studierende.
1998 errichtete der Bildhauer Mati Karmin die Skulptur und der Brunnen, in der sie steht, kann insgesamt als Zeichen der Verbundenheit gedeutet werden. Seit 2006 weisen Tafeln am Brunnen auf die Partnerstädte von Tartu hin: 16 Namen von Zutphen in den Niederlanden bis Salisbury in England sind auf den Tafeln verewigt. Tartu investiert in Nachhaltigkeit. Seit 2019 können über ein stadtweites Bike-Sharing-System Fahrräder und E-Bikes geliehen und so der Ort und die Umgebung erkundet werden. An 69 Leihstationen stehen insgesamt 750 Fahrräder bereit. Auch die vielen Parks von Tartu können so erreicht werden, wenn du nicht zu Fuß gehen möchtest.
Einer davon ist der Pigorow-Park, der direkt hinterm Rathaus liegt und sehr beliebt bei Studenten und Studentinnen ist. Direkt am Fluss Emajõgi findest du außerdem den Botanischen Garten, der bereits 1803 gegründet wurde und mehr als 10.000 verschiedene Pflanzenarten beherbergt. Und eine weitere grüne Lunge von Tartu ist der Park auf dem Domberg (Toomemägi). Hier finden sich auch Spielplätze und auf dem Gelände steht die Ruine der historischen Domkirche. Er ist eine Anlaufstelle von Fans der Lost-Place-Romantik. Die Ruine von Tartus Backsteindom aus dem 13. Jahrhundert bildet eine ganz besondere Kulisse. Im Kulturhauptstadtjahr 2024 wird ein spektakuläres Beleuchtungssystem mit dem Titel "Morgen- und Abenddämmerung" die alten Gemäuer zusätzlich in Szene setzen.
Besonders herausragend sind die beiden Zwillingstürme des historischen Bauwerks. 66 Meter ragen sie wuchtig und an eine Festung erinnernd in den Himmel. Das imposante Bauwerk gehört zu den Wahrzeichen der Stadt und im renovierten Part des Doms ist das Geschichtsmuseum der Universität untergebracht. Von außen ist das Hauptgebäude der Universität von Tartu ein strahlendes Beispiel für den Klassizismus. Sechs imposante Säulen reihen sich am Eingang des weißen Bauwerks auf, erbaut wurde es im 19. Jahrhundert. Und im Inneren kannst du das Kunstmuseum der Universität besuchen und die Innenausstattung der Aula bestaunen, die von einem Handwerksmeister aus Greifswald stammt.
In Abstimmung mit dem Museum ist es außerdem möglich, einen ganz besonderen Raum zu sehen: den Karzer im dritten Stock. In diesem Raum wurden zu früheren Zeiten Studenten verwahrt, die sich nicht an die Regeln hielten. Wer etwa an Prügeleien beteiligt war, musste zur Strafe teils tagelang dort verharren. Solche Studentengefängnisse wurden auch in Deutschland genutzt, beispielsweise an der Universität Marburg. Auch dort kann der Raum zu bestimmten Anlässen noch besichtigt werden. Tartu hat eine Fülle an Museen, die für jeden Geschmack etwas zu bieten haben. Dazu zählt das Estnische Nationalmuseum mit seinem spektakulären Look und seiner futuristischen Optik in der ehemaligen Militär-Sperrzone von Tartu. Unter der Startbahn des einstigen Militärflughafens Raadi wölben sich die Museumsräume hervor. Auf 6000 Quadratmetern wird dauerhaft zum Alltag der Esten und Estinnen ausgestellt, temporäre Ausstellungen ergänzen das Angebot.
Ausgestopfte Löwen und Co. findest du hingegen im Naturkundemuseum in der Dauerausstellung "Erde. Leben. Geschichte." und interaktiv wird es im Wissenschaftszentrum AHHAA, das unter anderem mit Planetarium und Wissenschaftstheater lockt. Ein kurzweiliges Vergnügen für die ganze Familie bietet das umgedrehte Haus Tagurpidi Maja, das auf dem Dach steht und die Welt kopfstehen lässt. Wer durch Tartu spaziert, sollte das Johannesviertel nicht auslassen. Der Name stammt von der hier stehenden Johanneskirche aus dem 14. Jahrhundert. Sie ist Johannes dem Täufer geweiht und erinnert in ihrer Backsteinoptik an Norddeutschland. Berühmt gemacht haben die Kirche ihre rund 2000 Terrakottafiguren in Innenraum und Außenwänden, von denen viele erhalten sind. Die Originale befinden sich im Museum, an den Kirchwänden hängen originalgetreue Kopien. Wer will, steigt 135 Stufen im Glockenturm empor und genießt den Ausblick.
Auch der Antoniushof im Zentrum ist eine gute Anlaufstelle. Wie bei Aparaaditehas haben sich hier Künstlerinnen und Künstler angesiedelt und du findest Werkstätten und Ateliers von Designerinnen und Designern sowie Kunstschaffenden. Der Innenhof wird im Sommer für Veranstaltungen wie Konzerte genutzt. Eine besondere Rolle bei den Studierenden von Tartu spielt auch die Bogenbrücke, die die Innenstadt mit dem Stadtteil Ülejõe verbindet. Über den Bogen der Fußgängerbrücke zu laufen galt und gilt als beliebte Mutprobe unter den Studenten und Studentinnen.
Beim Überqueren blieb es nicht. 2007 gab sich ein Pärchen auf der Brücke seinen Emotionen hin, ein Foto davon landete in den Medien und die Brücke gelangte zu zweifelhaftem Ruhm. Sicherer und sittsamer ist es, am Abend die beleuchtete Bogenbrücke auf dem dafür vorgesehenen Weg zu überqueren. Und dabei maximal Händchen zu halten.