Die Verkürzung der Speicherfristen erleichtere Betroffenen den Neustart. Eine Verbraucherinsolvenz - oder umgangssprachlich Privatinsolvenz - soll überschuldeten Menschen die Chance geben, nach einer gewissen Zeit frei von Forderungen noch einmal von vorn anzufangen. Solange das Verfahren läuft, werden das pfändbare Vermögen und Einkommen an die Gläubiger verteilt. Nur das zum Leben Notwendige darf man behalten. Der Vorteil: Restliche Schulden werden am Ende erlassen. Dieser Vorgang heißt in der Fachsprache Restschuldbefreiung. Erteilte Restschuldbefreiungen werden amtlich bekanntgemacht, auf dem Internetportal www.insolvenzbekanntmachungen.de. Dort ist die Information sechs Monate lang für jedermann abrufbar. Auskunfteien wie die Schufa greifen darauf zu und speichern die Daten bei sich - bisher einheitlich drei Jahre lang. Vor den Gerichten wird darum gestritten, ob das noch zulässig ist. Denn seit Mai 2018 gilt in der Europäischen Union ein neues Datenschutzrecht.
Am Europäischen Gerichtshof (EuGH) hatte sich der zuständige Generalanwalt in zwei Schufa-Fällen aus Deutschland Mitte März sehr kritisch zu der Praxis geäußert: Die Restschuldbefreiung solle es den Betroffenen ermöglichen, sich erneut am Wirtschaftsleben zu beteiligen - durch die lange Speicherung werde das jedoch vereitelt. Das Urteil der EuGH-Richter könnte auch noch anders ausfallen. Oft schließen sie sich aber der Einschätzung des Generalanwalts an. Vor diesem Hintergrund hatte der Bundesgerichtshof (BGH) am Morgen das Verfahren zu einem Musterfall aus Schleswig-Holstein vorläufig ausgesetzt, der im Februar in Karlsruhe verhandelt worden war.
Geklagt hatte ein Mann, der nach einer gescheiterten Selbstständigkeit ein Insolvenzverfahren über sein Privatvermögen durchlaufen hatte und wollte, dass die Schufa diese Information über ihn löscht. Er könne deshalb keinen Kredit aufnehmen, keine Wohnung neu mieten und nicht einmal ein Bankkonto eröffnen. Am BGH sind eine ganze Reihe ähnlicher Verfahren anhängig, wie der Vorsitzende Richter Stephan Seiters bei der Verkündung sagte. Die grundsätzlichen Bedenken des EuGH-Generalanwalts hätten seinen Senat darin bestärkt, dass es sinnvoller sei, vor einem eigenen Urteil zunächst die Luxemburger Entscheidung abzuwarten.
Unmittelbar im Anschluss zog die Schufa von sich aus die Konsequenzen: "Wir werden alle Einträge zu einer Restschuldbefreiung, die zum Stichtag 28.3.2023 länger als sechs Monate gespeichert sind, sowie alle hiermit verbundenen Schulden nach sechs Monaten rückwirkend zu diesem Datum löschen", heißt es in einer Mitteilung. "Diese Löschung erfolgt automatisch, die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen sich nicht hierum kümmern." Die technische Umsetzung werde etwa vier Wochen in Anspruch nehmen.
Zur Verhandlung im Februar hatte die Schufa erklärt, durch eine verkürzte Speicherdauer entfielen "hochrelevante Informationen zur umfassenden Einschätzung der Bonität von Personen". Jetzt teilte das Unternehmen mit, es gebe "keine grundlegenden Auswirkungen auf die Art und Weise der Scoreberechnung und die Güte des Verfahrens". "Gleichwohl steigt das individuelle Zahlungsausfallrisiko für das anfragenden Unternehmens, da die Bonität eines Kunden nicht vollumfänglich bewertet werden kann." Auch das "individuelle persönliche Risiko einer erneuten Überschuldung" steige. Nach den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts wurden 2021 rund 78 600 Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Die Wirtschaftsauskunftei Crif zählte 2022 mehr als 96 200 private Insolvenzen. Laut Crif geht es dabei nicht unbedingt um sehr große Summen: Ein Großteil der Betroffenen habe Schulden von knapp unter 10 000 Euro, die mittlere Höhe liege derzeit unter 18 000 Euro.
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