Gerade hat die Weltorganisation für Meteorologie ihre Warnung für sein Volk verschärft: Der Anstieg des Meeresspiegels hat sich im globalen Durchschnitt in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Die pazifischen Atoll-Staaten wie Tuvalu, Kiribati und die Marshall-Inseln werden in den nächsten Jahrzehnten unbewohnbar.
"Es heißt, dass die Ozeane eines Tages den Ort verschlingen, den wir Heimat nennen", sagt Natano und blickt in den Saal. "Aber ich verspreche Ihnen eines: Bis dieser Tag kommt, werden wir weiter dagegen kämpfen. Denn wenn wir unsere Inseln retten können, können wir auch die Welt retten." Die Szene spielt vor einem Jahr bei der 27. UN-Klimakonferenz im ägyptischen Scharm el Scheich. Es war nicht das erste Mal, dass Natano auf die Dramatik des Klimawandels für sein Volk hinwies.
Seine Not macht das Land erfinderisch: Zur COP-26 in Glasgow ließ sich der Außenminister 2021 per Video zuschalten - und hielt seine Rede vor Tuvalus Küste im knietiefen Wasser. Später hielt der Klimaminister bei seiner Plenarrede Fotos seiner Enkel hoch: Er gebe kein besseres Weihnachtsgeschenk für sie als einen Klimavertrag, der ihr Zuhause rette. Und in Ägypten warb Premier Natano für einen "Nichtverbreitungspakt für fossile Brennstoffe", die Staaten sollten so beitreten wie einst dem Atomwaffensperrvertrag. "Die Bedrohung ist ebenso groß", sagte er.
Wenn an diesem Donnerstag erneut eine UN-Klimakonferenz eröffnet wird, dieses Mal die "COP-28″ im arabischen Emirat Dubai, bricht ihr Ausmaß Rekorde: Rund 70.000 Teilnehmer werden für die nächsten zwei Wochen auf dem Gelände der "Expo City Dubai" zum nächsten Weltrettungsversuch erwartet, darunter Politiker und Unterhändler aus 197 Staaten. Allein die Bundesregierung ist mit Kanzler und fünf Ministern vertreten.
Auch Tuvalus Regierungschef Natano wird wieder sprechen, irgendwann zwischen Lula da Silva aus Brasilien und Olaf Scholz. Und die Welt wird wieder zuhören, obwohl er nur 11.000 Menschen regiert. Aber er vertritt weite Teile der Menschheit, wie er zu Recht sagt: Rettet der Gipfel seine Inseln, rettet er die Welt. Denn der Klimawandel mag zuerst die Atolle zerstören. Doch längst ist klar, dass er auch den reichen Norden nicht verschont.
Noch nie hat sich das mit einer solchen Wucht gezeigt wie in diesem im Jahr: Die COP28 startet, wenn das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen endet. Das erste Jahr, in dem die globale Temperatur zwar nicht dauerhaft, aber mehrfach 1,5 Grad über dem Schnitt der vorindustriellen Zeit lag.
Die Folgen lassen sich auch in Europa Jahr für Jahr live erleben: Rekordzahlen an Waldbränden, Schneemangel in den Bergen, Dürre und Überflutungen. Im Rest der Welt sieht es noch schlimmer aus. Über die Ursachen gibt es keinen Zweifel: Gerade verkündete das UN-Umweltprogramm UNEP einen zweifelhaften Rekord: Der Ausstoß von CO₂ und anderen klimaschädlichen Treibhausgasen erreichte 2022 mit 57,4 Gigatonnen einen neuen Höchststand.
Selbst wenn alle Staaten ihre Zusagen zum Pariser Klimaabkommen einhalten, und das tut nicht einmal Deutschland, werde die Temperatur in diesem Jahrhundert 2,5 bis 2,9 Grad über der vorindustriellen Zeit liegen. Dann würden die berühmten Kipppunkte fallen: Aufgetaute Polarkappen, überhitzte Meere und verödete Regenwälder sowie die Veränderung der Luft- und Warmwasserströme wären unwiderruflich und würden den Klimawandel auf Turbogang beschleunigen. Nie war Klimaschutz dringlicher als heute.
Doch es sind schlechte Zeiten für gutes Klima. Das beginnt schon am Verhandlungstisch. Zwar sind sich Klimaforscher einig, dass die Weltgemeinschaft in Dubai den baldigen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas beschließen muss. Für so weitgehende Beschlüsse scheint die Welt jedoch nicht in der Verfassung: Die Kriege in der Ukraine und Israel polarisieren die Staaten und binden Aufmerksamkeit und Geld, die für den Klimaschutz gebraucht werden.
US-Präsident Joe Biden etwa schwänzt die Klimakonferenz, weil er sich um den Nahostkonflikt kümmern muss. Deutschlands Chefverhandlerin, Außenministerin Annalena Baerbock, muss die COP womöglich für Nahostgespräche oder gar -trips unterbrechen. Was es für die Klimabewegung und für die Sicherheit vor Ort heißt, dass einige Aktivisten Pro-Palästina-Demos ankündigen, ist offen. In Deutschland verschlingen derweil nicht nur die Waffenlieferungen an die Ukraine Milliarden, neuerdings erschwert auch die Haushaltskrise allzu großzügige Zusatzausgaben in Dubai.
Ohne aber in Vorleistung zu gehen, können die Industrieländer kaum Kooperationsbereitschaft der Entwicklungs- und klimageschädigten Staaten erwarten. Das mussten die Europäer bereits im Vorjahr bitter lernen, als die Abschlusserklärung nach zähem Ringen zwar einen Fonds für klimabedingte Schäden enthielt – aber kaum CO₂-Senkungen. In Dubai soll nun der Fonds gefüllt werden, möglichst auch von reichen Schwellenländern wie China und Saudi-Arabien, zugleich geht es aber um konkrete Fossil-Ausstiegsziele.
"Die geopolitische Ausgangssituation ist schwierig", sagt David Ryfisch, Experte für Klimadiplomatie bei der Umweltorganisation Germanwatch, als er in Berlin vorab über die Erwartungen der Zivilgesellschaft spricht. "Vieles wird nun von der Verhandlungsführung durch den Gastgeber Dubai abhängen." Für viele Beobachter klingt das wie die nächste Horrornachricht. Denn Dubai zählt zu den ölreichen Vereinigten Arabischen Emiraten – und zu den weltgrößten Ölproduzenten und Klimasündern. Mit mehr als 20 Tonnen CO₂-Ausstoß pro Kopf liegen sie dreimal so hoch wie Deutschland.
Schlimmer noch: Zum einflussreichen COP-Präsidenten hat Dubai ausgerechnet Sultan Ahmed al-Dschaber erkoren. Der wortgewandte und international bestens vernetzte Vertraute des Präsidenten der Emirate, Scheich Mohammed bin Sajid Al Nahjan, ist in Abu Dhabi allerdings zugleich Chef des staatlichen Ölkonzerns. Seine Berufung löste weltweit Proteste aus. Denn der COP-Präsident leitet die zentralen Sitzungen, ist Herr über die Agenda, die Verteilung der Textentwürfe und die Zusammensetzung von Arbeitsgruppen. Erst im Vorjahr hatte das Ölförderland Ägypten bewiesen, wie effektiv ein COP-Präsident Sand ins Getriebe werfen kann.
Deshalb forderten bereits mehr als 100 Aktivisten und Politiker, Dubai im Vorfeld auf, al-Dschaber abzusetzen. Sonst sitze die Öllobby mitten in den Verhandlungen. "Haltet ihr uns für Idioten?", fragte US-Klimaaktivist und Nobelpreisträger Al Gore. "Er ist ja ein netter und schlauer Kerl, aber ein Interessenkonflikt bleibt ein Interessenkonflikt." Doch es gibt auch andere Bilder von Sultan Ahmed al-Dschaber. Sie zeigen den Mann mit dem Stoppelbart und der großen Hornbrille beim Handshake mit dem royalen Umweltschützer König Charles, oder im teuren Anzug mit US- und EU-Spitzenpolitikerin bei der Vorführung riesiger Solarfelder seines Konzerns, der längst auch in Öko-Energie investiert.
Vor zwei Monaten spricht er, im hellbraunen Gewand mit Goldkragen und traditioneller orientalischer Kopfdeckung aus weißem Schleier und schwarzen Ringen, auf einer Konferenz der Ölbranche in Abu Dhabi. "Zu lange wurde diese Industrie als Teil des Problems gesehen, die zu wenig tut und den Fortschritt sogar blockiert", ruft er mit dem routiniert emotionalen Timbre eines Motivationsredners. Nun aber komme Ihre Chance, "der Welt zu zeigen, dass Sie vielmehr zentral für die Lösung sind." Die Ölmanager applaudieren beflügelt.
Nach einem Treffen mit John Kerry lobt ihn der US-Klimabeauftragte als Pionier grüner Technologie: al-Dschaber sei eine "hervorragende Wahl" für den COP-Posten: Er verstehe die Notwendigkeit, die Branche vom Öl zu lösen. Ist der Mann vielleicht doch ein Brückenbauer? Kann er all die Staaten, die noch auf Kohle, Öl und Gas angewiesen sind, vom schnellen Umstieg auf Sonne, Wind und Wasserkraft überzeugen?
Immerhin: Dass ein Bekenntnis zum massiven Zubau erneuerbarer Energien im Gipfeldokument stehen wird, erwarten Beobachter sowieso. Die Bundesregierung will möglichst verbindliche Vorgaben durchsetzen: verdreifachter Zubau bis 2030 und jährliche Verdopplung der Energieeinsparung. Dagegen dürfte es die Forderung der Umweltverbände, zugleich ein Verbot von Neuinvestitionen in fossile Projekte zu beschließen, schwer haben. Auch Olaf Scholz ist dagegen. Er will, dass die Bundesrepublik auch die Erschließung neuer Gasfelder im Ausland unterstützt, um russisches Erdgas zu ersetzen.
Da dürften sich Deutschlands Kanzler und Dubais COP-Präsident einig sein: Erst vor Kurzem hat Sultan Ahmed al-Dschaber einen massiven Ausbau der Öl- und Gasförderung durch den Staatskonzern eingeleitet – für ihn kein Widerspruch vom Solarausbau. Verdienen lässt es sich in der arabischen Wüste an beidem.
Doch womöglich ist es sogar noch schlimmer: Keine zwei Tage vor COP-Start enthüllten britische Medien jetzt, dass Dubai die Konferenz für den Abschluss von Ölabkommen mit seinen ausländischen Gästen nutzen wollte. Die Klimabewegung schäumt. Die deutschen Fridays For Future wollen dennoch als kritische Beobachter anreisen – weil es ja keine alternative Plattform dieser Art gebe, wie Aktivistin Luisa Neubauer erklärt, um für einen "echten und gerechten Ausstieg aus fossilen Energien" zu kämpfen. "Als ginge es um alles. Denn das tut es."
Der Inselstaat Tuvalu jedenfalls ist schon einen Schritt weiter: In diesem Jahr machte Premier Natano schon zwei Wochen vor der COP Schlagzeilen. Angesichts des unausweichlichen Untergangs seines Landes hat er mit Nachbarstaat Australien ein Asyl-Abkommen geschlossen: Von nun an dürfen 280 Tuvaluer nach Australien auswandern – jedes Jahr. Bis alle 11.000 Einwohner die sinkende Insel verlassen haben.
Die "Frankfurter Rundschau" schreibt zu den Erwartungen an UN-Klimagipfel:
"Der Gipfel ist ja nicht dazu verdammt, die Agenda des Öl-Managers Sultan Al Jaber (Präsident der Klimakonferenz) nachzubeten. Dieser verfolgt zwar die durchsichtige Strategie, die fossilen Energien quasi mit einem UN-Stempel als "klimafreundlich" zu versehen. Techniken wie CCS, also die Abtrennung und unterirdische Endlagerung von CO2, sollen das möglich machen. Doch fortschrittliche Länder und Ländergruppen wie die EU können das verhindern und den Weg für den echten fossilen Ausstieg freimachen. Immerhin haben sie es im Vorfeld der COP geschafft, dass eine Verdreifachung der erneuerbaren Energien bis 2030 ebenfalls in die Gipfel-Agenda aufgenommen wurde. Damit CCS als fossile Verlängerung durchfällt und wegweisende Beschlüsse zu den Ökoenergien gefasst werden, gibt es nur eine Lösung: Die EU und andere reiche Länder müssen dem Rest der Welt auf anderen Feldern entgegenkommen. Hier geht es etwa um solide Finanzzusagen für den geplanten Entschädigungsfonds, der arme Länder bei bereits heute eintretenden Klimaschäden unterstützen soll."