Und das wiederum sagt viel darüber aus, wie sich die Stellung der Ultrareichen im Land unter diesem Mann geändert hat. Als Putin 2000 an die Macht kam, betrachtete die Außenwelt Oligarchen als Männer, deren skrupellos angehäufter Reichtum sie fast zu Schattenherrschern machte. Eben eine "Herrschaft der Wenigen", wie der aus dem Altgriechischen abgeleitete Begriff besagt. Er hat sich auch unter Putin gehalten, wird praktisch auf fast jeden Russen angewendet, der ein beträchtliches Vermögen besitzt. Aber über wie viel politische Macht diese Reichen heute wirklich verfügen, steht auf einem anderen Blatt.
Clevere Geschäftsleute hatten bereits im Zuge der Lockerung von Regierungskontrollen im Rahmen von Michail Gorbatschows "Perestroika"-Reformpolitik damit begonnen, Betriebe aufzubauen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nutzten sie Privatisierung von staatlichen Unternehmen, um sich rasch große Besitzstände zuzulegen.
Der Mathematiker Boris Beresowski war eine Verkörperung dieser Spezies, wurde zum größten Händler für den größten russischen Autohersteller und brachte es zuwege, die Fahrzeuge mit einem Verlust für den Produzenten zu kaufen. Er übernahm das Management des Ölunternehmens Sibneft, der nationalen Fluggesellschaft Aeroflot und erhielt Kontrolle über Russlands größten Fernsehsender, damals als ORT bekannt.
Zu den prominenten Oligarchen der damaligen Ära – wenn auch weniger schillernd als Beresowski – zählte auch der Medienmogul Wladimir Gussinski, dessen Medienholding den TV-Sender NTW einschloss, was ihm großen Einfluss bescherte. Und dann waren da die Ölmagnaten Michail Chodorkowski und Roman Abramowitsch.
Bei seinem Amtsantritt war sich Putin sehr wohl der verbreiteten Ressentiments bewusst, die gewöhnliche Russen gegen die Superreichen hegten – jene Eliten, die gediehen, während sich Millionen Menschen durch die wirtschaftlichen Veränderungen quälten. Im Sommer 2000 kam Putin im Kreml mit zwei Dutzend der Männer zusammen, die als Topoligarchen betrachtet wurden. Das Treffen fand hinter verschlossenen Türen statt, aber späteren Berichten zufolge machte Putin seinen Gästen ein unmissverständliches Angebot: Haltet euch aus der Politik heraus, dann bleibt euer Reichtum unangetastet.
"Die Garantie lautete, dass all die vor seiner Präsidentschaft angehäuften Vermögen von ihren Besitzern behalten werden konnten, und das hat sich niemals geändert", schrieb Analystin Alexandra Prokopenko von der Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace in Washington in diesem Jahr in einem Kommentar. "Loyalität ist das, was Putin mehr alles andere schätzt."
Zum damaligen Zeitpunkt hatte Beresowski bereits damit begonnen, Putin zu kritisieren. Binnen Monaten zog er nach Großbritannien, wo er 2003 Asyl erhielt. Zehn Jahre später wurde er in seinem Haus tot aufgefunden, laut einem – umstrittenen – Obduktionsbericht soll er sich erhängt haben.
Gussinski, der ebenfalls anfing, sich gegen Putin zu wenden und in dessen Medien wiederholt Kritik an der Regierung zum Ausdruck kam, landete im Zuge von Ermittlungen wegen mutmaßlicher Unterschlagung in Untersuchungshaft und erklärte sich innerhalb von Wochen bereit, seine Medienholding an einen Zweig des staatlichen Erdgaskonzerns Gazprom zu verkaufen. Dann verließ er das Land.
Chodorkowski, der damals als reichster Mann Russlands galt, hielt sich länger. Aber auch er geriet schließlich mit dem Kreml in Konflikt, trat für eine offene russische Gesellschaft ein, unterstützte Oppositionsparteien und legte zunehmend eigene politische Ambitionen an den Tag. 2003 stürmte eine Spezialeinheit sein Privatflugzeug und nahm ihn fest. Er verbrachte ein Jahrzehnt im Gefängnis, verurteilt wegen Steuerhinterziehung und Unterschlagung, bevor Putin ihn begnadigte und er dann ins Exil ging.
Putin duldete, dass der Metalltycoon Michail Prochorow bei der Präsidentschaftswahl 2012 gegen ihn antrat, aber dessen Kandidatur wurde verbreitet als eine vom Kreml unterstützte Show betrachtet, um den Eindruck eines politischen Pluralismus in Russland zu erwecken.
Obwohl der Krieg in der Ukraine an ihrem Vermögen gezehrt hat, haben die meisten der russischen Superreichen zur Invasion geschwiegen oder nur milde Kritik - wohl eher als eine Art Alibi - geäußert. Eine seltene Ausnahme war der Banker Oleg Tinkow, der den Krieg verurteilte und dessen Unterstützer als Idioten bezeichnete. Er verließ Russland gegen Ende 2022 und gab später seine russische Staatsbürgerschaft auf.
Michail Fridman, Mitbegründer von Russland größter privater Bank, nannte den Krieg eine Tragödie und rief zu einem Ende des Blutvergießens auf. Er besitzt die israelische Staatsbürgerschaft und hatte in Großbritannien gelebt, kehrte aber Berichten zufolge nach Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas nach Moskau zurück.
"Auch wenn die Eliten grummeln, zeigen sie doch weiter Loyalität", sagt Prokopenko. Aber sie und andere Beobachter meinen, dass Loyalität am Ende für Putin nicht ausgereicht habe und er eine neue Gruppe von Ultrareichen aufbauen wolle, die ihm ergeben sind. Erreichen wolle er das durch eine Verteilung der Vermögen, die der Staat von ausländischen Firmen beschlagnahmt hat, die Russland verlassen haben, und durch ein Annullieren der Privatisierungen der 1990er Jahre.
Russland verfolge Deprivatisierungen mit der Absicht, Reichtum neu zu verteilen, an eine neue Generation von weniger mächtigen Individuen, und um die eigene Position als Präsident zu stärken, schreibt Analyst Nikolai Petrov vom britischen Royal Institute of international Affairs. Es entstehe eine neue Gruppe, indem Reichtum und Kontrolle vom alten Adel an den neuen umverteilt werde.