Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat die Geiselverhandlungen mit der Hamas durch neue Forderungen weiter kompliziert. Diese neuen Bedingungen, die zusätzliche militärische Präsenz und strategische Kontrollmaßnahmen umfassen, haben die ohnehin schwierigen indirekten Gespräche in eine noch komplexere Lage gebracht.
Seit den verheerenden Angriffen der Hamas am 7. Oktober 2023, bei denen rund 1.200 Israelis getötet und etwa 250 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden, laufen indirekte Verhandlungen zur Freilassung der Geiseln. Ägypten, Katar und die USA fungieren als Vermittler. Die Verhandlungen drehen sich um einen dreistufigen Plan, der den Austausch der Geiseln gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen sowie Wege zu einer dauerhaften Waffenruhe umfasst.
Netanjahu hat kürzlich neue Bedingungen in die Gespräche eingebracht, die bislang nicht Teil der Verhandlungen waren. Diese beinhalten:
Dauerhafte militärische Präsenz: Netanjahu fordert, dass israelische Truppen dauerhaft in strategischen Positionen im Gazastreifen bleiben. Dies schließt insbesondere den Philadelphi-Korridor ein, ein etwa zwölf Kilometer langer Streifen entlang der Grenze zu Ägypten, der nach israelischer Ansicht als wichtig für die Verhinderung von Waffenschmuggel dient.
Kontrolle über den Grenzübergang Rafah: Netanjahu verlangt, dass israelische Soldaten in Rafah bleiben, um die Grenze zu Ägypten zu überwachen. Der Grenzübergang zu Ägypten ist seit Mai geschlossen, nachdem israelische Truppen dessen Gaza-Seite besetzt haben. Ägypten ist strikt gegen eine dauerhafte israelische Kontrolle über diesen Grenzübergang.
Verhinderung der Bewegung von Hamas-Milizionären: Die neue Forderung sieht vor, dass israelische Einheiten dafür sorgen sollen, dass keine Hamas-Kämpfer vom Süden in den Norden des Gazastreifens zurückkehren können.
Diese Forderungen haben zu einem erneuten Stillstand der Verhandlungen geführt. Vermittler aus Ägypten und Katar haben Bedenken geäußert, ob die neuen Bedingungen „politische Manöver“ oder substanzielle Verhandlungsbedingungen sind. In den kommenden Tagen sollen israelische Verhandler nach Doha und Kairo reisen, um den tatsächlichen Standpunkt Israels zu klären.
Netanjahu steht unter erheblichem Druck von seinen ultra-religiösen und rechtsextremen Koalitionspartnern, die eine harte Haltung gegenüber der Hamas befürworten. Diese Partner drohen, die Koalition zu sprengen, falls Netanjahu Zugeständnisse an die Hamas macht. Ein Scheitern der Verhandlungen könnte zu vorgezogenen Neuwahlen führen, die Netanjahu möglicherweise das Amt kosten könnten. Zudem laufen gegen ihn Gerichtsverfahren wegen mutmaßlicher Korruption, die ihn ins Gefängnis bringen könnten.
Der Premierminister und seine Beamten betonen zwar, dass sie ernsthaft an einem Geiselabkommen interessiert seien, doch gibt es Zweifel, ob Netanjahu die Verhandlungen tatsächlich vorantreiben oder ob er lediglich Zeit gewinnen möchte. Einige Beobachter vermuten, dass Netanjahu einen Deal nicht vor Beginn der Sommerpause der Knesset unter Dach und Fach bringen will. Diese Pause beginnt Ende Juli und dauert drei Monate, während derer ein Regierungssturz durch Koalitionspartner unmöglich wäre.
Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag wird heute ein Gutachten zur Rechtmäßigkeit der israelischen Besatzung palästinensischer Gebiete vorlegen. Obwohl ein solches Gutachten rechtlich nicht bindend ist, könnte es den internationalen Druck auf Israel erhöhen, falls der IGH zu dem Schluss kommt, dass Israel gegen internationales Recht verstößt.
Parallel zu den Verhandlungen setzt Israel seine militärischen Operationen im Gazastreifen und im Libanon fort. In der Nacht zu Donnerstag kam es in Tel Aviv zu einer schweren Explosion in der Nähe einer US-Botschaft-Niederlassung. Die Ursache ist noch unklar, es gibt jedoch Spekulationen über einen möglichen Drohnenangriff. Das israelische Militär untersucht den Vorfall.
Im Libanon hat Israel gezielte Tötungen von Hamas- und Hisbollah-Mitgliedern vorgenommen. Unter anderem wurde ein Kommandant der Hisbollah und mehrere seiner Leibwächter getötet. Diese Angriffe könnten das Risiko eines weiteren Eskalationspotentials in der Region erhöhen.
Die kommenden Tage und Wochen könnten entscheidend für den Fortgang der Geiselverhandlungen und die politische Zukunft Netanjahus sein. Die internationale Gemeinschaft und die beteiligten Vermittler stehen unter Druck, eine Lösung zu finden, die sowohl die humanitären als auch die politischen Herausforderungen berücksichtigt.