Während Rettungskräfte behutsam Erde und Gestein abtragen, trösten andere Helfer die verzweifelte Mutter, die um ihre Tochter unter dem Geröll bangt. Ob die 20-Jährige das verheerende Erdbeben in Marokko, dass schon mehr als 2100 Menschen das Leben gekostet hat, überleben wird, ist am Sonntagabend noch völlig offen. Damit die junge Frau eine Chance hat, müssen die Helfer in dem Dorf Ouirgane im Süden Marrakeschs mit großer Vorsicht vorgehen. Die Rettung geht deswegen nur sehr langsam voran, während sich zugleich das Zeitfenster für die unter den Trümmern Eingeschlossene schließt. Experten geben einen Richtwert von 72 Stunden an, in denen ein Mensch längstens ohne Wasser auskommen kann.
Nicht weit von der Bergungsstelle entfernt verrichtet ein erschöpft aussehender Mann sein Gebet vor Häuserruinen. Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße, die durch Ouirgane führt, streiten derweil mehrere Anwohner um Lebensmittel und Wasser, die Einsatzkräfte soeben gebracht haben. Bis die offizielle Hilfe im Dorf sowie in den Nachbarorten angelaufen ist, hat es lange gedauert. Die Verzweiflung unter den Menschen ist deshalb groß. Zunächst seien nur private Helfer gekommen, berichten die Bewohner. Viele Straßen waren zunächst etwa durch abgebrochene Felsen blockiert. Die Helfer kamen in den abgelegenen Bergregionen deshalb nur mit Mühe voran.
Am Sonntagnachmittag rollen dann endlich Lastwagen der Armee in großer Zahl die engen und steilen Serpentinen-Straßen südlich von Marrakesch entlang. Soldaten errichten Zeltstädte für die Menschen, die ihr Obdach verloren haben oder sich vor dem Einsturz ihrer Häuser durch weitere Erdstöße fürchten. Das Beben der Stärke 6,8 erschütterte Marokko in der Nacht zu Samstag. Es war das schlimmste in dem Land seit Jahrzehnten. Dabei wurden auch mehr als 2400 Menschen verletzt. Hunderte werden zudem vermisst.
An einer Straße, die Richtung Marrakesch führt, bitten Anwohner Autofahrer am Sonntagabend darum, ihre Handys kurz in deren Wagen aufladen zu dürfen, um Verwandten und Freunde zu kontaktieren zu können. "Mir geht es gut, Gott sei Dank", berichtet Fatma aufgeregt ihren Angehörigen am anderen Ende des Telefons. In Marrakesch selbst ist in der Nacht nur noch wenig von der Katastrophe zu spüren. Trotz vieler Schäden nach dem Beben in der Stadt sind die Cafés und Restaurants der auch bei ausländischen Touristen beliebten Stadt gut gefüllt. Die Nachrichten aus den rund anderthalb Fahrtstunden entfernten Dörfern, die in vielen Lokalen auf Bildschirmen übertragen werden, wirken hier sehr weit weg.
Die Regierung in Marokko kündigte unterdessen einen Sonderhilfsfonds für die notleidende Bevölkerung an. Damit sollten unter anderem Kosten zur Absicherung beschädigter Häuser gedeckt werden, berichtete die marokkanische Nachrichtenseite Hespress unter Berufung auf einen Regierungssprecher.
Zur Höhe des Fonds gab es keine Angaben. Er solle sich aus Geldern öffentlicher Einrichtungen und freiwilliger Beiträge des Privatsektors zusammensetzen, hieß es. Zur medizinischen Versorgung der mehr als 2000 Verletzten seien neben den ortsansässigen Krankenhäusern und Ambulanzdiensten mehr als 1000 Ärzte sowie 1500 Krankenschwester und Pfleger mobilisiert worden.
dp/fa